Tutorial – Portraitfoto mit Illustrator vektorisieren

Es gibt zahlreiche Wege, ein Foto nachzuzeichnen oder in einem Grafikprogramm zu vektorisieren. Angefangen bei einer simplen Tontrennung in Photoshop über die Verwendung diverser Filter oder Webdienste bis hin zu Tracingprogrammen oder den halbautomatischen Interaktiv-abpausen-Einstellungen in Illustrator. In all diesen Fällen gelangt man als Laie recht schnell zu akzeptablen Ergebnissen. Einem Grafikdesigner, Illustrator oder Künstler jedoch genügen diese auf Grund fehlender individueller Entscheidungsmöglichkeiten nicht. – Vor kurzem hatte ich an der Vektorisierung eines Portraitfotos der Schauspielerin Iris Boss so viel Freude, dass ich die Arbeit daran für dieses Tutorial dokumentiert habe.

Zu Beginn der Arbeit sollte man in etwa wissen, welches Ergebnis man haben möchte. Soll die Illustration eher comichaften Charakter haben oder in Richtung Characterdesign gehen, soll es fotorealistisch aussehen oder karikativ überspitzt werden? – Ich habe mich für einen eher klassischen Comicbuchstil entschieden, um eine Art moderne Ikone entstehen zu lassen.

Wie bereits erwähnt, benutze ich für Arbeiten dieser Art den Adobe Illustrator in der Version CS3. Doch diese Entscheidung ist weniger wichtig, da sich in niedrigeren Versionen oder anderen Vektorgrafikprogrammen ganz ähnliche Ergebnisse erzielen lassen.

Als Referenz diente mir eine Aufnahme der für ihre zahlreichen Schauspielerportraits bekannten Fotografin Jeanne Degraa. Dieses Referenzfoto habe ich auf eine ganz normale DIN A4 große Arbeitsfläche geladen und die Ebene anschließend gesperrt. Wichtig ist, bei den Ebenenoptionen (Doppelklick auf das Ebenensymbol) die Darstellung des Fotos etwas abzuschwächen. Ich habe die Einstellung „Bilder abblenden“ auf 70% gestellt.

Die Augen tracen

Ich beginne klassisch von innen nach außen zu arbeiten, das heißt ich fange mit den Augen an. Und zwar zeichne ich die Grundformen auf dem Grafiktablett nach, indem ich das Buntstift-Werkzeug benutze. Für die entstehende Form wähle ich keine Füllung und für die Kontur 0,5 Punkt rot oder eine andere gut sichtbare Farbe.

Wie auf dem Bild in den Schritten 1 – 8 zu erkennen, fange ich mit dem Augenweiß an und arbeite mich dann ins Innere des Auges vor. Die beim Zeichnen auf dem Grafiktablett entstandene Form vereinfache ich anschließend über den Menübefehl Objekt » Pfad » Vereinfachen. Und unnötige Überlappungen (Schritt 3) entferne ich mit den Werkzeugen in der Pathfinder-Palette.

Wimpern sind so fein, dass es schwierig wird, sie naturgetreu nachzuzeichnen. Es empfiehlt sich daher, die Wimpern oder ähnlich feine Bereiche etwas zu übertreiben. Ich zeichne meist zunächst das Lid mit eingestelltem Buntstift-Werkzeug. Anschließend lege ich mir eine geeignete Pinselform neu an und zeichne die einzelnen Wimpern mit dem Pinsel-Werkzeug. Diese feinen Formen wandle ich anschließend um (Objekt » Aussehen umwandeln), löse die dabei entstehende Gruppierung, entferne den ursprünglichen Pinselstrich in der Mitte der Form (am besten in der Pfadansicht, Strg+Y) und vereine dann alle Formen in der Pathfinder-Palette.

Das ist zwar aufwändiger als andere ebenso gut mögliche Wege, führt aber in meinen Augen zu angenehmeren Ergebnissen und vor allem entstehen Formen – keine bloßen Konturen –, so dass später das gesamte Bild verlustfrei beliebig skaliert werden kann, egal ob es auf eine Postkarte oder auf das 10 m hohe Blow-Up einer Warenhausfront gedruckt werden soll.

Zum Schluss wähle ich geeignete Farben aus einer zuvor angelegten Palette und fülle die Formen entsprechend. – Die Farbpaletten lege ich mir in kuler an, indem ich das Foto hochlade und meinen Wünschen entsprechende Farbwerte zusammenstelle.

Augenbrauen tracen

Bei den Augenbrauen verfahre ich ähnlich wie bei den Wimpern, indem ich zunächst die einzelnen Härchen mit dem Pinsel-Werkzeug zeichne. Dann wird das Aussehen der Objekte umgewandelt, der ursprüngliche „Pinselstrich“ entfernt und die einzelnen Pfade zu einem zusammengesetzt (Schritte 9 – 11)

Die Augenbrauen sind natürlich bei jedem Menschen anders. Für diese feinen Härchen verwende ich ausschließlich die Pinselstriche. Dichtere Brauen anderer Menschen kann man ruhig als ganze Form darstellen, an deren Rändern feine Spitzen herausragen.

Nase, Mund und Ohren

Die Nase zu zeichnen ist eine etwas heikle Angelegenheit, da man schon mit einer einzigen Fehlentscheidung das gesamte Ergebnis ruinieren kann. Am besten man zeichnet zunächst nur die dunklen äußeren Konturen nach (12 und 13). Ebenso verfährt man beim Ohrinneren (20 und 21).

Der Mund ist erfreulicherweise weniger kompliziert nachzuzeichnen. Und zwar legt man sich zuerst das Lippenrosa an, das man anschießend mit einem hellen Pink färbt (14 und 15). Dann werden die dunkleren Bereiche zwischen den Lippen getract und kräftig rot gefärbt (16 und 17). Und schließlich färbt man die nachgezeichnete äußere Schattierung der Unterlippe mit einem mittleren Braunton (18 und 19).

Haare vektorisieren

Haare können bei einer comichaften Darstellung eigentlich mit einer simplen Form nachgezeichnet werden. Es lohnt sich jedoch etwas mehr Aufwand zu treiben. Die simple Formel für Haare lautet: je detailreicher man arbeitet, desto cooler wird das Ergebnis.

Ich zeichne zunächst wieder die äußere Form mit dem Buntstift-Werkzeug und färbe dann die Haare erstmalig nicht mit einem Ton, sondern verwende einen radialen Verlauf (22 und 23). Anschließend „pinsele“ ich die feinen Härchen der Lichter auf die gleiche Weise, wie ich schon Wimpern und Augenbrauen getract habe. Und nachdem ich alle Härchen zu einem Pfad zusammengesetzt habe, färbe ich sie mit einem mittleren Braun (24 und 25).

Wie extrem aber lohnenswert diese Arbeit ist, sieht man im Zoom (26). Und zum Schluss verenge ich den zunächst großzügig angelegten Scheitel und verschiebe auch den Haaransatz etwas nach vorn (27).

Kopfform, Hals und Schatten

Nun ist das grundlegende comichafte Portrait beinahe fertig. Die Kopf- bzw. Gesichtsform wird nachgezeichnet und mit einem leichten Orangeton gefärbt (28 und 29). Zusätzlich wähle ich eine Kontur in dunklem Braun von 1 Punkt Stärke. Genauso verfahre ich beim Hals (30).

Der räumliche Unterschied zwischen Kinn und Hals erfordert nun den Einsatz von Schattierungen. Deren Form zeichne ich gemäß dem Foto nach und fülle sie dann mit einem linearen Verlauf. Allerdings verändere ich den Einblendmodus der Schatten in der Transparenzpalette, und zwar wähle ich in diesem Fall „Abdunkeln“ als Einblendmodus und reduziere die Deckkraft anschließend auf 60% (31).

Danach zeichne ich alle wichtigen Schattierungen des Bildes nach. Zunächst die Wangen und die Nase (32), dann Nasenspitze, Oberlippe und Mundwinkel (33). – Es ist unbedingt erforderlich, die Richtung der Verläufe entsprechend der realistischen Darstellung zu verändern sowie unterschiedliche Einblendmodi und Einstellungen für die Deckkraft zu verwenden.

Schließlich bringe ich noch Schatten an der Stirn und über den Augen (34) sowie unterm Scheitel, im Ohr und unter den Augen an (35).

Lebendige Augen

Da sich der gesamte Gesichtsausdruck durch die Schattierungen gegenüber der reinen comichaften Konturzeichnung verändert, halte ich es für notwendig, die Augen lebendiger zu gestalten.

Zunächst färbe ich die Iris mit einem radialen Verlauf von einem sehr dunklen Blau zu dem bereits vorher benutzten Blauton. Den Winkel setze ich dabei so an, dass der dunklere Teil oben ist (37).

Anschließend zeichne ich den Tränenkanal in die Augenwinkel (38) und unterlege die Oberlider mit einem Schatten auf dem oberen Augapfel (39), um auch hier die räumliche Tiefe zu betonen. Als Farbton für diesen Schatten wähle ich 50% Schwarz und setze den Einblendmodus auf Abdunkeln bei voller Deckkraft.

Kleidung anlegen und Hintergrund erstellen

Ganz zum Schluss trace ich die Formen der Kleidung nach, was jedoch nicht so akkurat sein muss – eigentlich genügen schon ein paar wenige angedeutete Konturen, etwas Farbe oder ein Verlauf sowie einige Schattierungen (40 bis 44).

Das Bild ist an dieser Stelle eigentlich fertig und man kann nun nach Belieben einen Hintergrund erstellen. Ich bin für meine comichafte Ikone bei den Blautönen aus der Palette geblieben und habe einen leuchtend orangenen Stern mit nur 5% Deckkraft und Einblendmodus „Farbig abwedeln“ hinzugefügt.

Das fertige Portrait

Und das war’s auch schon. Ich hoffe, dieses Tutorial hat euch/Ihnen genauso viel Spaß gemacht wie mir das Zeichnen.

 

Ein ganz großes herzliches Dankeschön an dieser Stelle an die Schauspielerin Iris Boss, die mir freundlicherweise die Verwendung ihres Bildes für dieses Tutorial gestattete.

Herzliche Grüße aus Berlin,
Klaus-Dieter Knoll
Grafikdesign, Webdesign, Mediengestaltung

 

Add to Technorati Favorites  |  Diese Seite zu Mister Wong hinzufügen  |  Bloggeramt.de  | 
About these ads

Über kadekmedien

Ich gestalte Ihr Erscheinungsbild, erzähle Ihre Geschichte und bringe Sie nach vorn. Kommunikationsdesign, Content Creation, SMO.

8 Antworten zu “Tutorial – Portraitfoto mit Illustrator vektorisieren”

  1. Wow, das sieht ja echt scharf aus. So ein Avatar hätte ich auch gerne. Jedoch ist mir das tracen per Hand etwas zu afwändig.

    Kannst Du mir vielleicht einen Webdienst, der Ähnliches leustet empfehlen?

  2. Interesantes Tut, allerdings ist es wirklich etwas Aufwändig. Danke

  3. Also die Augenringe sind ja derb. Und so zerzauste Haare hat sie auch net.
    Ich weiß nicht, wie alt die Frau auf dem Foto ist, jedoch das Ergbnis macht sie 60Jahre alt. Mindestens.
    Vielleicht solltest du dezentere Farbe verwenden, um nicht gleich so große Kontraste zu setzen (Augenringe).

  4. Sachen gibt’s. Ein Troll, der sich so halt auf die Augenringe 60-jähriger spezialisiert hat…

    @all
    Gebt dem Troll kein Futter.

  5. ein tolles Tutorial. Die Schritte sind gut erklärt und man sieht wenn sich jemand viel Mühe gegeben hat um anderen Menschen ein technik verständlich zu mache.
    Ein bisschen muss ich mit sohalt konkordieren, dass das Resultat in der Grafik die auf dem Ausgangsfoto ein wenig älter erscheinen lässt. Trotzdem bleibt es ein exzellentes Tutorial das ich mir öfter anschauen werde und für meine Arbeit gebrauchen kann.

Trackbacks/Pingbacks

  1. uberVU - social comments - 11. Januar 2010

    Social comments and analytics for this post…

    This post was mentioned on Twitter by kadekmedien: frisch gebloggt: Portraitfoto mit Illustrator vektorisieren http://wp.me/pqPns-mm #Grafikdesign #Illustration #Portrait #Tutorial…

  2. Adobe Illustrator CS4 deutsch : Günstige Software - 23. Februar 2010

    [...] Tutorial – Portraitfoto m&#1110t Illustrator vektorisieren … [...]

  3. Gestatten, Bestatter: Urne oder Sarg gestalten! Kostenloser Motivdruck. - Welt-Bestattung - Gestorben Beerdigung Würzburg - Urne Sarg Kondolenzbuch Alle Bestattungsarten - 19. März 2011

    [...] Es gibt zahlreiche Wege, ein Foto nachzuzeichnen oder in einem Grafikprogramm zu vektorisieren. Hier haben sie ein Tutorial – Portraitfoto mit Illustrator vektorisieren. [...]

Follow

Bekomme jeden neuen Artikel in deinen Posteingang.

Join 1.991 other followers