Hollande unterstellt Merkel, sie bremse die aktuellen europäischen Fragen. Tatsächlich verschiebt sie gerade Prioritäten: Bayrische Mehrheitssicherung vor Griechenland-Rettung – es geht um die eigene Macht
Angela Merkel bremse in den aktuellen europäischen Fragen, weil sie „ihren eigenen Wahlkalender im Kopf“ habe, hat Frankreichs Präsident Francois Hollande zu sagen gewagt. Seit dieser ungewohnt offenen Worte soll der Franzose in Ungnade bei Angela Merkel stehen. Und die Kommentatoren folgen, wenn auch in Nuancen unterschiedlich, der Berliner Sprachregelung.
Mir geht es hier darum, Widerspruch einzulegen gegen das Klischee, der Franzose sei der große Reformverweigerer und müsse noch lernen, wie selbstlos und auch in seinem Interesse die Kanzlerin agiere. Ein enger Schulterschluss mit Paris wird noch dringend gebraucht, die Krise ist wahrlich nicht zu Ende. Und keinesfalls lässt sich einfach behaupten, Hollande irre auf der ganzen Linie.
Wenn man sich derzeit in Berlin umhört, kann man schlicht zu keinem anderen Eindruck kommen als Hollande, dass nämlich von Stund' an die ganze Politik umgepolt wird auf Wahlkampfmodus. Der Auftritt von Angela Merkel beim CSU-Parteitag in München ebenso wie das Geturtel Horst Seehofers haben jeden Zweifel ausgeräumt, wie die Prioritäten gesetzt werden. Nicht nur, dass sich beide umarmten und dann geradezu überboten als Sozialpolitiker, denen Gerechtigkeit für die „kleinen Leute“ über alles geht, vollen Sukkurs bekam die Kanzlerin plötzlich auch für ihren europäischen Sparsame-Hausmutter-Kurs, während Seehofers Männer für's Grobe bisher den Griechen gar nicht drakonisch genug androhen konnten, dass deutsche oder jedenfalls bayrische Steuerzahler für ihre meditteranen Schludrigkeiten nicht aufkommen würden.
Weil ihm Prinzipien herzlich wenig bedeuten, wie selbst die FAZ konstatiert, so ähnlich wie der Kanzlerin selbst, heißt es nun aber plötzlich, Griechenland werde nicht fallengelassen – weil uns eine solche Insolvenz mehr schade als nutze, wird leise hinzugefügt. Zudem bliebe es bei den strikten Sparauflagen, Punkt! Europa wird nach deutschen Muster saniert, heißt die Botschaft, und da man zu Hause als beste sozialdemokratische Partei aller Zeiten auftreten will, kann man sich natürlich nicht nur platt als mitleidsloser Sparkommissar in Europa präsentieren.
Dass es zu der von Hollande und zahlreichen südeuropäischen Regierungschefs gewünschten Bankenaufsicht nach jetziger Schätzung frühestens im Frühjahr 2014 kommt, hängt natürlich auch mit dem Wahlkalender der Kanzlerin zusammen: Sie wird in Europa nichts billigen, was ihr bei Wahlen auf die Füße fallen und als Entgegenkommen gegenüber Südländern gedeutet werden könnte. Nein, das solidarische Europa wird in den nächsten Monaten – bei allen herzerweichenden Mitgefühls-Bekundungen für die jungen Leute auf Athens oder Madrids Straßen ohne Zukunftsperspektive – nur ein Lippenbekenntnis bleiben, es geht darum, nationale Interessen zu verteidigen.
Seite 2: Erst Machtsicherung in Bayern, dann die Rettung Griechenlands
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