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Merken   Drucken   24.10.2012, 08:32 Schriftgröße: AAA

Fluggastrechte in Europa: Was das EuGH-Urteil für Passagiere ändert

Wer mehr als drei Stunden Verspätung hat, bekommt 600 Euro - schön wär's. Der Europäische Gerichtshof hat zwar erneut die Rechte von Airlinekunden gestärkt. Doch wer die Entschädigungen wirklich einfordert, scheitert schnell. So sehen die Rechte von Flugpassagieren aus - und so sind die Chancen auf Erfolg.
© Bild: 2012 DPA/Hannibal Hanschke
Wer mehr als drei Stunden Verspätung hat, bekommt 600 Euro - schön wär's. Der Europäische Gerichtshof hat zwar erneut die Rechte von Airlinekunden gestärkt. Doch wer die Entschädigungen wirklich einfordert, scheitert schnell. So sehen die Rechte von Flugpassagieren aus - und so sind die Chancen auf Erfolg.
von Nina Jauker

Auf dem Papier besitzt der Passagier in Europa weitreichende Rechte gegenüber den Fluggesellschaften. Doch wer sich über einen verspäteten oder annullierten Flug so sehr ärgert, dass er tatsächlich auf Entschädigung pocht, der scheitert mit seiner Forderung erst an den Airlines und später vor Gericht. Oder braucht einen sehr langen Atem. Die Klagewege reichen in mehreren Fällen bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH).

In der Praxis sind die Ansprüche selten durchzusetzen

Der EuGH legte zwar 2004 in einer EU-Verordnung Entschädigungssummen je nach Entfernung fest. Die Verordnung sollte die Fluggastrechte stärken und sah auf dem Papier prima aus. Doch wegen ihrer zahlreichen Widersprüche mit nationalen und EU-Bestimmungen blieb die juristische Lage in den letzten Jahren unklar. "Das hat die Rechtsprechung gelähmt", sagt Rechtsanwalt Alexander Skribe von "Fairplane".

Nach jahrelangem Streit zwischen Fluggesellschaften und Passagieren legten der englische High Court und das Amtsgericht Köln erneut zwei strittige Fälle in Luxemburg zur Klärung vor, über die nun entschieden wurde.

Mit seinem Urteil zu diesen beiden Klagen räumte der EuGH einige Ungenauigkeiten aus und bestätigt im Wesentlichen seine Rechtsprechung.

Neu ist: Große Verspätungen und Annullierungen werden gleichgesetzt. Bei Verspätungen ab drei Stunden hat der Passagier ein Recht auf dieselben Entschädigungen, die ihm bei einer Annullierung des Fluges zustünden. Eine Ausnahme von dieser Regel gebe es nur dann, wenn der Grund für die Verspätung außergewöhnliche Umstände seien, die die Airline nicht beeinflussen könne. Dazu zählen extreme Wetterverhältnisse und in der Regel auch ein Streik.

Milliardenkosten für die Airlines: Entscheidend ist die Ankunftszeit

Einschneidender für die Airlines ist ein zweiter Punkt: Der EuGH stellt klar, dass die Verspätung am Endziel die ausschlaggebende ist. Wer also einen Anschlussflug wegen einer Verspätung von 2 Stunden und 59 Minuten nicht mehr erwischt, der erreicht sein Endziel mit hoher Wahrscheinlichkeit erst mit mehr als 3 Stunden Verspätung - und hat damit Anspruch auf Schadenersatz. Bislang waren verpasste Anschlussflüge ein Problem des Passagiers. Das gilt auch, wenn der Fluggast beispielsweise die Abfahrt eines Kreuzfahrtschiffes verpasst, weil sein separat gebuchter Zubringerflug Verspätung hat. Für anfallende Übernachtungs- und Nachreisekosten müsste die Airline aufkommen.

Dieser Perspektivwechsel von Abflug- zu Ankunftsverspätung könnte die Airlines Milliarden kosten - wenn sie denn zahlen. Bisher sollen die Kosten für Fluggesellschaften relativ gering gewesen sein, weil Verspätungen über drei Stunden eher selten sind. Unter Einbezug der verpassten Anschlussflüge ändert sich das.

In der Praxis beklagen Verbraucherschützer und Fluggastverbände immer wieder, dass Fluggesellschaften sich weigern, bei Verspätungen Entschädigungen zu bezahlen. "Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass endlich eine Schlichtungsstelle eingerichtet wird," sagt die Juristin Sabine Fischer-Volk von der Verbraucherzentrale Brandenburg. Die Regierung hat zwar ein entsprechendes Gesetz erlassen, doch es ist immer noch nicht entschieden, ob diese Stelle beim Luftfahrtbundesamt, bei Unternehmen wie Flightright oder bei der Schlichtungsstelle für den Öffentlichen Personennahverkehr in Berlin angesiedelt werden soll.

Bis dahin sieht es mit den Rechten der Passagiere wie folgt aus:

Ansprüche bei überlanger Wartezeit

Zwei Stunden Wartezeit müssen Passagiere laut EU-Verordnung klaglos hinnehmen. Danach müssen die Airlines ihre Kunden versorgen, sprich Getränke und Mahlzeiten bereitstellen. Außerdem darf man zwei kostenlose Telefonate führen oder zwei Emails bzw. Faxe verschicken. Doch je länger der Flug, desto länger muss der Passagier unversorgt ausharren:

- Bei einer Flugentfernung bis zu 1500 Kilometern bis zu zwei Stunden

- Bei einer Entfernung von bis zu 3500 Kilometern bis zu drei Stunden

- Bei einer Entfernung von mehr als 3500 Kilometern bis zu vier Stunden

In der Regel versorgen die Fluggesellschaften ihre Passagiere in diesen Fällen recht gut und übernehmen auch die von der EU vorgesehene Hotelunterbringung, wenn der Passagier wegen des Nachtflugverbots erst am nächsten Tag befördert werden kann. Ab fünf Stunden Wartezeit kann der Passagier vom Flug zurücktreten und sich die Kosten erstatten lassen - was in der Regel schleppend und teilweise gar nicht geschieht. Rücktritte von Flügen kommen nach Erfahrung von Fischer-Volk aber selten vor. Auf großen Widerstand trifft der Passagier, wenn es um Entschädigungszahlungen geht (siehe Verspätungen).

Ansprüche bei Annullierungen

Wird ein Flug ersatzlos gestrichen, sieht die EU-Verordnung Entschädigungen vor:

- 250 Euro bei Flügen bis 1500 Kilometer

- 400 Euro bei Flügen von 1500 bis 3500 Kilometer

- 600 Euro bei Flügen über 3500 Kilometer

Problemlos durchzusetzen ist in solchen Fällen der Anspruch auf Weiterbeförderung - irgendwann. Schwieriger wird es schon, vom Flug zurückzutreten und die Flugkosten erstattet zu bekommen. "Das verzögert sich oft," sagt Fischer-Volk. In einigen Fällen klappt das aber, weil etwa bei Billigairlines der Flugpreis weit unter den Entschädigungssätzen liegt. Schlechte Karten hat man bei der Einforderung der oben aufgeführten Entschädigungen. Die Fluggesellschaften verhandeln mit Betroffenen nach Erfahrung der Verbraucherzentralen oft wochenlang und argumentieren etwa, dass kein Schadenersatzanspruch bestünde, weil Witterungseinflüsse die Ursache seien.

Ansprüche bei Verspätungen

Die EU sieht seit 2009 bei einer Verspätung ab 3 Stunden exakt dieselben Entschädigungszahlungen vor wie bei Annullierungen. Die Fluglinien hatten diese Entscheidung bislang angefochten, das neue Urteil bestätigt nun die Rechtsprechung. Der EuGH stellte klar, dass die Verspätung am Endziel des Fluges entscheidend ist. Damit entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Schadenersatzanspruch bei allen, die einen Anschlussflug wegen Verspätung verpassen (siehe oben). Für die Fluggesellschaften könnten die Kosten in die Milliarden gehen. Entsprechend schwierig ist es, von den Airlines die Entschädigung zu erhalten."Es wird weiterhin je nach Gericht uneinheitliche Entscheidungen geben," sagt Anwalt Skribe. Zu Fluggastrechten gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung und viele Details, über die in einzelnen Fällen debattiert werden kann. "Das neue Urteil ist zwar ein rechtlicher Sieg für den Verbraucher," sagt Sabine Fischer-Volk. Aber der steinige Weg, eine Entschädigung zu bekommen, werde dadurch nicht einfacher.

Der EuGH stärkt aber immer wieder die Rechte der Verbraucher. Ein weiterer Punkt, der im Urteil vom Dienstag klargestellt wurde: Streik ist zwar ebenso wie Witterungsverhältnisse als höhere Gewalt anzusehen, weshalb der Passagier keinen Schadenersatzanspruch hat, sofern die Airline nachweisen kann, dass sie alles getan hat, um ihren Auftrag zu erfüllen. Doch die Spätfolgen eines Streiks - also zum Beispiel Flugplanverschiebungen oder Umbuchungen am nächsten Tag - seien keine Fälle von höherer Gewalt.

Wichtig bei einer Schadenersatzforderung

Wer sich dazu entscheidet, sollte Verspätung oder Annullierung dokumentieren. "Es empfiehlt sich, eine schriftliche Bestätigung am Schalter einzuholen, sich für Zeugenaussagen von Mitreisenden die Adresse geben zu lassen oder die Abflugtafel mit der Anzeige zu fotografieren," sagt Sabine Fischer-Volk. Für die Forderung selbst hat man auf dem Papier drei Jahre Zeit. So lang ist die Verjährungsfrist in Deutschland.

  • FTD.de, 24.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland
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