EU-Reformen Europa muss raus aus dem Krisenmodus

Wolfgang Schäubles Ideen für eine neue EU kann man für abwegig halten. Doch er stellt die richtigen Fragen, kommentiert K. Polke-Majewski.

Proteste vor dem griechischen Parlament in Athen

Proteste vor dem griechischen Parlament in Athen

Man kann Wolfgang Schäubles Ideen von einem neuen Kerneuropa für verrückt halten. Ein Währungskommissar, der einem strengen Lehrer gleich nationale Parlamente in Haushaltsfragen gängelt. Ein Europäisches Parlament, das sich je nach Integrationsstatus der Heimatländer der jeweiligen Abgeordneten einmal so, einmal anders zusammensetzt. Ein Konvent, der die institutionellen Fragen Europas mal eben ordnen soll, möglichst schon ab Dezember.

Solche Thesen provozieren: Der Bundesfinanzminister wolle die nationalen Parlamente entmündigen und das Europäische Parlament spalten, entrüsten sich die Kritiker. Offenbar erinnere er sich auch nicht mehr, was das Ergebnis des letzten europäischen Konvents war: Eine jahrelang aufwendig erarbeitete Verfassung, die in Frankreich und den Niederlanden durch Referenden hinweggefegt wurde und nie in Kraft trat.

Anzeige

Nein, das alles hat Schäuble sicher nicht vergessen. Dennoch setzt sein Vorstoß ein wichtiges Signal: Die Europa-Debatte muss sich dringend aus dem Krisenmodus lösen.

Denn fast alle Mittel, die nötig sind, um die Schuldenkrise zu bewältigen und die Finanzmärkte zu beruhigen, sind inzwischen vorhanden. Fiskalpakt und ESM sind beschlossen, Schuldenbremsen in den Mitgliedsstaaten eingeführt oder auf dem Weg, die Europäische Zentralbank hat verkündet, wie sie mit Staatsanleihen von Schuldnerstaaten umgehen wird. Der nächste Schritt, die Bankenunion, ist in Arbeit.

Karsten Polke-Majewski
Karsten Polke-Majewski

Karsten Polke-Majewski ist stellvertretender Chefredakteur von ZEIT ONLINE. Seine Profilseite finden Sie hier.

Da ist es an der Zeit, wieder den Kopf zu heben und zu fragen, was wir eigentlich von Europa wollen. Denn die Krise hat gezeigt, dass die EU nicht wirklich gut verfasst und deshalb oft nur notgedrungen handlungsfähig ist. Um das zu ändern, muss man nicht gleich in Extreme verfallen, hier die Vereinigten Staaten von Europa fordern, dort von einem Altherrenclub irgendwie freundschaftlich-geschäftlich verbundener Nationalstaaten träumen.

Aber man muss sich den Fragen stellen, die hinter Schäubles Vorschlägen stecken: Wer kontrolliert eigentlich die Einhaltung der Regeln, die wir Europäer uns geben, und wer setzt sie durch? Ist es richtig, dass immer alle mitreden dürfen, auch wenn sie mit der diskutierten Angelegenheit erklärtermaßen gar nichts zu tun haben wollen? Und wenn wir uns mehr demokratische Legitimation auf europäischer Ebene wünschen: Kann das überhaupt ohne einen Machtverlust nationaler Parlamente abgehen?

Schäubles Vorstellungen kennen wir nun. Sie konkurrieren mit Ideen, die seit einiger Zeit über das neue Europa kursieren. Was aber fehlt ist, dass sich die europäischen Partner äußern. Sie haben es bislang vorgezogen, im üblichen Krisensprech zu verharren. Doch spätestens zum EU-Gipfel am Donnerstag werden sie ihre Antworten nicht mehr verweigern können.

 
Leser-Kommentare
  1. "Wer kontrolliert eigentlich die Einhaltung der Regeln, die wir uns geben?"

    Antwort: KEINER!

    Daran krankt Europa nämlich. Beschlüsse, Verträge und Selbstverpflichtungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden.
    Ganz besonders unzuverlässig sind in dieser Hinsicht die südlichen Mitgliedsländer, aber auch Deutschland hat den Stabilitätspakt gebrochen. Solange dies der Fall ist, wird Europa (was immer man darunter auch verstehen mag) bei den Bürgern kein Vertrauen finden. Da kann sich die ZEIT die Finger wund schreiben.

    14 Leser-Empfehlungen
    Reaktionen auf diesen Kommentar anzeigen

    100% Zustimmung: es geht nicht nur darum, wer was kontrolliert, sondern vor allem darum, was die Konsequenzen sind.

    Zudem hätte ein Super-Olli (Rehn) wohl kaum die Möglichkeit, einen Beschluß des Bundestages an den Bundestag zurückzuverweisen. Das wäre faktisch nicht durchzusetzen. Was würde denn passieren? Sanktionen? Bis wohin? Es erscheint mir nicht sehr demokratisch, die nationale Legislative für ihre Entscheidungen zu bestrafen und sie damit quasi zu entmündigen. Über der Legislative steht nur der Souverän, aber sicher nicht Super-Olli.

    Anderes Beispiel: es gäbe nicht einen Super-Olli (Rehn), sondern einen Super-Pepe (Barroso), der beschließt, daß fortan nur noch portugiesisch in Europa gesprochen werden darf (rein hypothetisch). Wenn sich die nationalen Parlamente weigern, obwohl sie ihm vorher (aus Versehen) das Recht dazu gegeben haben, was dann? Heißt es demnächst dann "Bom dia!" in der Tagesschau?

    Schäubles Vorstoß ist - wie in anderen Artikeln beschrieben - wohl vielmehr der Versuch, die Dynamik der Ent-Demokratisierung in dieser Krise für seine eigenen Ideen zu nutzen.

    100% Zustimmung: es geht nicht nur darum, wer was kontrolliert, sondern vor allem darum, was die Konsequenzen sind.

    Zudem hätte ein Super-Olli (Rehn) wohl kaum die Möglichkeit, einen Beschluß des Bundestages an den Bundestag zurückzuverweisen. Das wäre faktisch nicht durchzusetzen. Was würde denn passieren? Sanktionen? Bis wohin? Es erscheint mir nicht sehr demokratisch, die nationale Legislative für ihre Entscheidungen zu bestrafen und sie damit quasi zu entmündigen. Über der Legislative steht nur der Souverän, aber sicher nicht Super-Olli.

    Anderes Beispiel: es gäbe nicht einen Super-Olli (Rehn), sondern einen Super-Pepe (Barroso), der beschließt, daß fortan nur noch portugiesisch in Europa gesprochen werden darf (rein hypothetisch). Wenn sich die nationalen Parlamente weigern, obwohl sie ihm vorher (aus Versehen) das Recht dazu gegeben haben, was dann? Heißt es demnächst dann "Bom dia!" in der Tagesschau?

    Schäubles Vorstoß ist - wie in anderen Artikeln beschrieben - wohl vielmehr der Versuch, die Dynamik der Ent-Demokratisierung in dieser Krise für seine eigenen Ideen zu nutzen.

  2. wäre der letzte Schritt in die Diktatur. Parlamente müssen selbstständig über den Haushalt entscheiden können. Jeder seriöse Journalist müsste darauf hinweisen, anstatt EU-Propaganda zu betreiben.

    27 Leser-Empfehlungen
    Reaktionen auf diesen Kommentar anzeigen
    • Mieheg
    • 17.10.2012 um 20:18 Uhr

    ...aber was schlagen sie stattdessen vor? Entweder wir gehen mit Europa den Weg oder wir gehen ihn nicht. Aber wir können uns nicht so abhängig voneinander machen, wenn wir keinerlei Möglichkeiten haben die Entscheidungen auch auf nationaler Ebene zu beeinflussen.
    Also machen Sie einen Vorschlag um unsere Probleme zu lösen.

    • Mieheg
    • 17.10.2012 um 20:18 Uhr

    ...aber was schlagen sie stattdessen vor? Entweder wir gehen mit Europa den Weg oder wir gehen ihn nicht. Aber wir können uns nicht so abhängig voneinander machen, wenn wir keinerlei Möglichkeiten haben die Entscheidungen auch auf nationaler Ebene zu beeinflussen.
    Also machen Sie einen Vorschlag um unsere Probleme zu lösen.

  3. neue Europa kursieren"

    Gut zu wissen als Bürger! Das neue Europa wird gestaltet.

    Wenn wähle ich eigentlich wenn ich das nicht möchte?

    Ich finde die Idee der West-UDSSR ähhh EU natürlich sehr toll und bin schon voller Vorfreude.

    11 Leser-Empfehlungen
  4. europa ist (relativ) stark gestartet, wenn auch mit großen geburtsfehlern (währungsunion ohne fiskalunion, aufnahme von staaten wie griechenland in die eurozone...).

    in der blütezeit hat die politik sich dann in dem scheinbaren erfolg gesonnt, statt an einer nachhaltigen weiterentwicklung zu arbeiten. jetzt wo die 'kinder' in den brunnen gefallen sind, da...

    -werden euro-länder kaputtgespart, nachdem die meisten länder sich ohne 'aufsicht' total verschuldet haben
    -wird haß und mißgunst statt einigkeit und gemeinsamkeit gesät
    -wird halbherzig versucht, die geburtsfehler zu heilen

    => sorry, das alles geschieht viiieeel zu spät und es darf der zweifel erlaubt sein, dass das rad der euro-zone noch mal zurückgedreht werden kann.

    2 Leser-Empfehlungen
  5. ...müssen endlich mal die Deutschen raus aus ihrem hysterischen Anti-Europa-Krisenmodus!

    4 Leser-Empfehlungen
    Reaktionen auf diesen Kommentar anzeigen

    Immer wenn Deutschland versucht hat Europa zu besetzten, dann wollten alle anderen nicht mehr mitmachen!

    Und auf einmal wollen doch alle wieder die "Festung Europa" (incl. Frontex und anderer "Sicherheitsstrukturen")?

    MfG KM

    Immer wenn Deutschland versucht hat Europa zu besetzten, dann wollten alle anderen nicht mehr mitmachen!

    Und auf einmal wollen doch alle wieder die "Festung Europa" (incl. Frontex und anderer "Sicherheitsstrukturen")?

    MfG KM

  6. Wie aus der Finanz- eine Schuldenkrise gemacht wurde?

    "Es ist der wohl größte PR-Coup der Geschichte: Die Banken haben sich aus der Schusslinie genommen, indem sie aus der Finanz- eine Staatsschuldenkrise machten. Die Politik zieht daraus die falschen Schlüsse."
    http://www.cicero.de/comm...

    Was hat die Politik in 5 Jahren der Banken- und Geldsystemkrise gelernt?

    Die Eskalation der Krise

    "Fünf Jahre nach Beginn der Subprime-Krise zeigt sich: Mit jedem Rettungsschritt wurden die Probleme größer. Die nächste Phase könnte eine politische Krise sein."
    http://www.wiwo.de/politi...

    Aber interessant anzusehen, dass Schäuble für seinen Unsinn, den er von sich gibt, auch noch Lob ernten kann. Zumindest in der ZEIT.

    Das er sich gerade in allem widerspricht, was er noch vor kurzem gesagt hat? Ist doch egal...

    20 Leser-Empfehlungen
    • Atan
    • 17.10.2012 um 18:35 Uhr

    ein realistisches Europabild: Ist das Modell, dass Schäuble vorschlägt, für ärmere Staaten überhaupt attraktiver als die Fortsetzung der Krise? Momentan ist es auch ihre Stärke, dass die reicheren Staaten gar nicht umhin können, die schwächeren zu finanzieren, weil ohne diese Maßnahmen der Euro zusammenbräche. Warum sollten sie einem mächtigen "Währungszar" zustimmen, der ihnen die Budgets kürzen könnte, während sie es jetzt nur mit einer EZB zutun haben, in der sie mit gleicher Stimme wie die Geberstaaten gehört werden und sogar Mehrheiten für die eigene Politik organisieren können?
    Schäubles Vorschlag ist für diese Staaten also vor allem unattraktiv und gibt ihnen nichts, die darin versteckte Peitsche zu versüssen. Eine EU, die über die Einzelstaaten dominiert, kann es erst geben, wenn sowohl für die Völker und Regierungen die Union wichtiger wird als ihre jeweiligen Nationalstaaten - wenn man diese Frage ehrlich beantwortet, ist für die nächsten Jahre (Jahrzehnte?) nur der Staatenbund denkbar, aber noch nicht der Bundesstaat.

    4 Leser-Empfehlungen
  7. Angesichts dessen, dass in Europa die selben Leute, die seit Jahren Regeln aufstellen, diese mit schöner Regelmäßigkeit selbst wieder brechen, ist diese Frage rein rhetorisch.
    Die Macht des Faktischen wird stets als alternativlos dargestellt.

    Die Glaubwürdigkeit der Protagonisten ist längst dahin. Dazu passt auch, dass Schäuble einerseits von einem Währungskommissar spricht, der den Oberlehrer spielen soll und gleichzeitig (noch vor dem Bericht der Troika) verkündet, Griechenland werde sicher nicht pleite gehen.

    Dieser Währungskommissar wäre ein zahnloser Tiger. Griechenland führt deutlich vor, wie es geht: Mit falschen Zahlen arbeiten, Vereinbarungen nicht einhalten - und trotzdem lässt man das Land nicht fallen, kauft seine wertlosen Staatsanleihen und hält mit dem Geld der anderen den Staat aufrecht.

    Wenn ein Land des Euroraumes per se nicht pleite gehen kann, hätte ein Währungskommissar keinerlei Sanktionsmöglichkeiten. Was soll er denn tun, wenn ein Land sich einfach nicht an die Sparvorgaben hält?

    Der einzige Vorteil, den die Installierung dieses Kommissars hätte: Man könnte den Widerstand der Staaten, denen es noch besser geht, gegen eine Transfer- und Schuldenunion leichter brechen und sie zum Zahlen zwingen.

    9 Leser-Empfehlungen

Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren

Service