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Ein Land im Umbruch: Myanmar erlebt eine kleine Revolution

In Myanmar, früher als Birma bekannt, finden am Sonntag Teilwahlen statt. Erstmals darf die verbotene Oppositionspartei LND antreten. Verlaufen die Wahlen fair, steht dem Land ein wirtschaftlicher Boom bevor.

Die Fischerei in Myanmar steckt in den Kinderschuhen. Das Land hofft aus Hilfe und Geld aus dem Westen. Quelle: Reuters
Die Fischerei in Myanmar steckt in den Kinderschuhen. Das Land hofft aus Hilfe und Geld aus dem Westen. Quelle: Reuters

YangonDie Küste von Myanmar ist nicht nur malerisch, die Gewässer sind ein Paradies für Meerestiere. Dies ist wohl eines der wenigen Küstengebiete auf der Welt, wo Fische noch an Altersschwäche sterben können. Während sonst die Ozeane unter Überfischung leiden, steht die Fischerei in Myanmar in den Kinderschuhen.

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Die meisten Fischer arbeiten mit kleinen Booten, es gibt ein paar einfache Fischfarmen, eine Handvoll kommerzieller Krabbenzuchten. „Helfen Sie uns“, sagt U Hnin Oo, Vizepräsident des Fischereiverbandes von Myanmar, an die Adresse der europäischen Fischereiindustrie. „Wir brauchen dringend Kapital, wir brauchen Technologie, wir brauchen Training“. Myanmar habe das Potenzial, eine organische Fischereiindustrie von Weltklasse auf die Beine zu stellen. „Dann können wir den in Europa wachsenden Markt für nachhaltig produzierte Meeresfrüchte beliefern“.

Die Fischereiindustrie ist nur einer von vielen Wirtschaftszweigen in Myanmar, die zwar ein überreiches Angebot an Produkten haben, sie aber nicht voll entwickeln und zu Markte bringen können. Denn es fehlt an Geld, an Investitionen. Wegen strikter Finanzsanktionen Washingtons können westliche Firmen bisher kaum oder nur über Umwege in Myanmar investieren. „In der Regel wird der Handel über eine Bank in Singapur abgewickelt“, erklärt Philipp Hoffmann von Jebsen & Jessen, der jüngst für das Handelshaus ein Myanmar-Büro aufgebaut hat.

Eine Alternative ist, das Geld in Koffern in bar über die Grenze zu tragen. Nur China hat sich wenig um die Einschränkungen gekümmert. So ist es Peking in den letzten Jahren gelungen, sich in vielen Bereichen der Wirtschaft eine starke Position aufzubauen.

Die gelegentliche Aggressivität dieses Landes, aber auch Indiens, im geschäftlichen Umgang bereitet der Regierung von Myanmar zunehmend Sorgen. Doch man müsse schließlich freundlich bleiben, sagt Außenminister Wunna Maungs Lwin. „Beide Länder sind unsere Nachbarn. Wir müssen mit ihnen gute Beziehungen unterhalten“. Doch die geografische Lage zwischen zwei der am raschesten wachsenden Länder der Welt bietet auch enorme Vorteile.

 

Präsident Thein Sein (Mitte) hat mit zum Teil spektakulären Maßnahmen das Land geöffnet. Quelle: dapd
Präsident Thein Sein (Mitte) hat mit zum Teil spektakulären Maßnahmen das Land geöffnet. Quelle: dapd

Myanmar – mit 60 Mio. Einwohnern und einer Fläche von 653.520 Quadratkilometern etwa zweimal so groß wie Vietnam - ist eine wahre Schatztruhe an Rohstoffen. Edelsteine, Holz, Gold, Metalle, Gas – das Land hat alles. Viele Ressourcen sind als Folge der Jahrzehnte dauernden Militärdiktatur noch wenig erschlossen. Bevor die Militärjunta in der ehemaligen britischen Kolonie die Macht an sich gerissen und das Land brutal unterjocht hatte, war es eines der reichsten in Asien.

Das soll jetzt wieder so werden. Präsident Thein Sein, ein ehemaliger General, hat mit einer Reihe von zum Teil spektakulären Maßnahmen das Land geöffnet. „Im Gegensatz zur weitläufigen Meinung ist die Öffnung nicht eine plötzliche Entscheidung, sondern Teil eines schon 2003 vom Regime beschlossenen Plans zur Demokratisierung“, meint Jan Zalewski, Myanmar-Analyst bei IHS Global Insight in London. Sicher eine wesentlicher Grund für den Beschluss, Reformen einzuführen: die Junta hat erkannt, dass die Nation unter dem bisherigen Regime wirtschaftlich keine Zukunft hat.

Die Freilassung von politischen Gefangenen, mehr Freiheit für die Medien – einige der Reformen haben selbst die kritischsten Beobachter sprachlos gemacht. Am kommenden Sonntag kann zum ersten Mal die bis vor kurzem noch verbotene Oppositionspartei LND der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi bei Teilwahlen mitmachen.

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Die Menschen von Myanmar, von denen viele in bitterer Armut leben, begrüßen den Wandel. „Die Demokratisierung bringt endlich Transparenz in den Staatsapparat, sagt U Ngwe Doe, Vorsteher eines kleinen Bauerndorfes in der Nähe von Yangon. „Das ist gut für die kleinen Leute“. Mit einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von 744 US $ ist Myanmar eines der ärmsten Länder Asiens.

 

Auch wenn die abergläubische Militärjunta eine neue Hauptstadt bauen ließ - Yangon bleibt das Zentrum Myanmars. Quelle: Reuters
Auch wenn die abergläubische Militärjunta eine neue Hauptstadt bauen ließ - Yangon bleibt das Zentrum Myanmars. Quelle: Reuters

Yangon war die Hauptstadt Myanmars, bevor die abergläubische Militärjunta auf Anraten von Astrologen 2005 ein paar hundert Kilometer nördlich die Beamtenstadt Naypyidaw baute. Doch Yangon bleibt das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum Myanmars. Wer in diesen Tagen durch die Straßen der Stadt geht, spürt sofort: hier ist eine kleine Revolution im Gange.

Yangon platzt fast vor lauter Aktivität. Alle Hotels sind ausgebucht, Tausende von Touristen sind im Land - und Geschäftsleute. Viele westliche Firmen eröffnen in Windeseile ein Büro. Denn für sie ist klar: wenn einmal die strikten Sanktionen weg sind, wenn der Handel mit der Welt frei ist, wird Myanmar einen Boom erleben. „Doch es ist höchste Zeit“, warnt ein westlicher Diplomat. „Die Chinesen haben überall den Fuß drin“.

Für myanmarische Industrievertreter sind Geschäftsleute aus dem Westen – allen voran Deutschland - mehr als willkommen. „Als Buddhist bin ich verpflichtet, alle Menschen gleich zu behandeln, alle gleich zu mögen. Als Mensch aber habe ich westliche Partner lieber als Chinesen, weil sie in der Regel ehrlich sind“, meint ein Geschäftsmann.

Westliche Firmen sind nicht zuletzt am Wiederaufbau der maroden Infrastruktur interessiert. Milliardenaufträge für den Bau von Brücken, Straßen und Eisenbahnen locken, wenn die Beschränkungen fallen. Dass dies geschehen wird, ist wohl nur eine Frage der Zeit. Für die EU sind die Wahlen am 1. April der Lackmustest; auch die Vereinigten Staaten werden mit Argusaugen beobachten, ob der Urnengang fair und gerecht verläuft. Eine Streichung der strikten Finanzsanktionen durch Washington würde zu einem „Rausch von Kapital“ ins Land führen, so ein Kommentator.

Doch Aung San Suu Kyi ist zurückhaltend. Überenthusiastische Geschäftsleute mahnt sie zur Vorsicht. „Wenn man in diesem Land investieren will, muss man erst sicher sein, dass die entsprechenden Gesetze gut sind und von einer unabhängigen Justiz durchgesetzt werden können“, so die Friedensnobelpreisträgerin gegenüber Handelsblatt.

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Dies sei zur Zeit noch nicht der Fall. Das Parlament berät jetzt über ein neues, liberales Investitionsgesetz. So sollen Anleger aus Übersee eine fünfjährige Steuerbefreiung genießen können. Außerdem müssen sie nicht einen lokalen Partner suchen. Die Währung, der Kyat, soll zu Beginn des neuen Steuerjahres von der Zentralbank in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfond schrittweise gefloatet werden.

 

Friedensnobelpreisträgerin Suu Ky - hier umrahmt von Anhängern - warnt vor zu viel Enthusiasmus. Quelle: dapd
Friedensnobelpreisträgerin Suu Ky - hier umrahmt von Anhängern - warnt vor zu viel Enthusiasmus. Quelle: dapd

Westliche Politiker geben sich in diesen Wochen in Naypyidaw und Yangon die Türklinke in die Hand. Auch der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel sowie mehrere Bundestagsabgeordnete machten sich vor kurzem ein Bild über den Gang der Demokratisierung, nachdem die EU vor ein paar Monaten bereits einige der Handelssanktionen gegen das südostasiatische Land gelockert hatte. Die meisten Besucher sind optimistisch, einige gar euphorisch, dass der Gang in Richtung Demokratie nachhaltig ist.

Geschäftsleute in Yangon dagegen beobachten die rasanten Veränderungen noch mit einer Mischung aus Erstaunen und Skepsis. „Wenn wir mal alles Schwarz auf Weiß haben, wenn die Reformen verbindliche Gesetze sind, dann glaube ich daran. Denn reden ist billig“, sagt Preman, der Myanmar-Chef von DKSH Services Diethelm & Co.

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Auch die Nationalheldin Suu Kyi ist eine Stimme, die vor zu viel Enthusiasmus warnt. Im Gegensatz zu vielen ausländischen Beobachtern und Politikern glaubt sie, dass die jüngsten Entwicklungen durchaus wieder rückgängig gemacht werden könnten. Denn eines darf man trotz der Demokratisierungseuphorie nicht vergessen. Die „neuen Machthaber in Myanmar sind fast alle noch die alten. Sie haben nur ihre Uniform gegen einen Maßanzug ausgetauscht.

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