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Myanmar: „Unumkehrbarer Weg der Öffnung“

Der demokratische Wandel in Myanmar weckt Hoffnungen. Für Investoren gilt das Land als attraktiv. Doch blutige Ausschreitungen gegen Minderheiten wecken Zweifel, ob das Regime es mit der Demokratisierung ernst meint.

Farmer in Myanmar: Nach der ersten Euphorie über die Öffnung sind viele Beobachter ernüchtert. Quelle: Reuters
Farmer in Myanmar: Nach der ersten Euphorie über die Öffnung sind viele Beobachter ernüchtert. Quelle: Reuters

YangonEin neuer Tag, ein neuer Stau. In Yangon, der größten Stadt Myanmars, vergehen kaum ein paar Stunden, bevor nicht Sicherheitskräfte erneut den Verkehr blockieren, um Kolonnen schwarzer, beflaggter Limousinen die Durchfahrt zu erlauben. Staatsbesuche und Visiten hoher Wirtschaftsvertreter sind inzwischen so häufig, dass sie vom Thinktank Brookings Institution als eines größten Hindernisse identifiziert wurden, mit denen das Land zu kämpfen habe. „Beamte verbringen ihre Arbeitstage damit, ausländische Besucher zu treffen. Sie haben zu wenig Zeit, gute politische Entscheid zu fällen, geschweige denn sie umzusetzen“, so Brookings-Senior Fellow Lex Rieffel.

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Myanmar, oder Birma, ist beliebt. Angehörige westlicher Botschaften sind im Dauerstress, den Besuchern aus der Heimat den roten Teppich auszurollen. Es scheint, jeder Politiker, der etwas von sich hält, fliegt in diesen Monaten nach Yangon und in die administrative Hauptstadt Naypyidaw, um sich beim Händeschütteln mit Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi ablichten zu lassen, und mit dem „Reformpräsidenten“ Thein Sein. Die Hotels sind ausgebucht von Vertretern von Unternehmen, die nach Geschäftsmöglichkeiten suchen in dem Land, das erst vor ein paar Monaten begonnen hat, sich nach Jahrzehnten unter einer Militärdiktatur der Demokratie zuzuwenden, und in dem Bedarf nach so ziemlich jedem Produkt und jeder Dienstleistung besteht. Doch nach der Euphorie über die Öffnung setzt unter einigen Beobachtern Ernüchterung ein. „Das Vertrauen des Westens in Birma wird nicht zurück bezahlt“, lamentierte das Wall Street Journal jüngst.

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Grund für den Katzenjammer sind die brutalen Ausschreitungen gegen die islamische Volksgruppe der Rohingya in einem Bundesstaat. Der Konflikt brach im Juni aus, nachdem drei Rohingya-Männern vorgeworfen worden war, sie hätten eine junge Buddhistin vergewaltigt und ermordet. Anschließende Vergeltungsmaßnahmen durch die lokale Bevölkerung kosteten mindestens zehn muslimischen Pilgern und dutzenden von weiteren Rohingya das Leben. Die Ausschreitungen gipfelten in Brandschatzungen und der Zerstörung von Häusern der seit Jahren als Außenseiter geächteten Volksgruppe. Ausländische Beobachter berichteten, die Regierungstruppen hätten die Übergriffe kaum zu verhindern versucht und seien den Angreifern in einigen Fällen sogar zur Seite gestanden. Offizielle Stellen sprechen von mindestens 80 Opfern, die Dunkelziffer dürfte laut Menschenrechtsorganisationen deutlich höher liegen.

Asien

Verblüfft, zum Teil schockiert, reagierten westliche Kommentatoren auf die Worte von Präsident Thein Sein: er argumentierte für die Ausweisung der Rohingya, denen Myanmar die Staatsbürgerschaft verweigert, weil es sich bei der Volksgruppe um Flüchtlinge aus dem benachbarten Bangladesch handle. „Wir werden sie in jedes Land schicken, das sie aufnehmen will“, so Thein Sein gegenüber UN-Flüchtlingskommissar António Guterres. Nicht minder irritiert sah sich der Westen von der scheinbaren Gleichgültigkeit Aung San Suu Kyis: die Friedensnobelpreisträgerin und Ikone der Menschenrechte verpasste während ihrer jüngsten Europareise mehrere Gelegenheiten, sich öffentlich für die verfolgte und unterdrückte Volksgruppe einzusetzen.

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Ankunft in Rangun, bis Ende 2005 Hauptstadt von Myanmar: Der Einfluss der Briten, die ehemals das Land beherrschten, ist hier an vielen Stellen unverkennbar – wie hier beim Verwaltungsgebäude der Stadt.

Bild: Jürgen Röder

„Der Lack blättert ab“, so ein Exil-Birmese in Australien gegenüber Handelsblatt. Der knapp 50jährige will, wie viele in seiner Lage, aus Angst vor Repressalien auch im nach-diktatorischen Myanmar anonym bleiben. „Nein, ich traue denen einfach nicht“, meint er auf die Frage, ob er den Demokratisierungsbemühungen der Regierung nicht zu wenig Gewicht einräume. Ob die weltweit gefeierte Freilassung von politischen Gefangenen, ob Wahlen, die der Jahrzehnte unter Hausarrest lebenden Aung San Suu Kyi den Einzug ins Parlament erlaubten, ob die Öffnung der bis vor kurzem pseudo-kommunistischen Wirtschaft: das „Regime“ von Thein Sein habe es geschafft, die Welt mit „demokratischen Maßnahmen zu blenden“, meint der Kritiker.

Man dürfe nicht vergessen: bei den „Reformern“ in Naypidaw handle es sich größtenteils um jene Männer, die schon in der Militärdiktatur die Macht in den Händen hielten. Nur trugen sie damals eine Uniform, nicht wie heute Geschäftskleidung. Der Dissident ist mit seinem Misstrauen nicht alleine. Verschiedene Kritiker werfen die Frage auf, ob die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und andere Länder mit dem Abbau der Sanktionen nicht etwas voreilig gehandelt haben.

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Wie man über diesen „Goodwill“ des Westens gegenüber der Thein Sein-Regierung auch denken mag: die Lockerung oder Aufhebung der Handelsschranken mit dem ehemaligen Schurkenstaat durch viele westliche Länder führte im Land der goldenen Pagoden geradezu zu einer „Goldgräberstimmung“. Dutzende von Firmen eröffneten in den letzten Monaten in Windeseile ein Büro in Yangon; oftmals nur um Präsenz zu markieren, und noch ohne konkrete Geschäftspläne zu haben. Die Regierung Thein Sein hat mit ihren Liberalisierungsmaßnahmen die Euphorie der Investoren zweifelsohne angeheizt. So wurde die völlig überbewertete Währung freigegeben, während zuvor ein realistischer Umtauschwert nur am dem Schwarzmarkt zu haben war.

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Thein Sein macht auch Anstalten, der notorischen Korruption und Vetternwirtschaft Einhalt zu gebieten – allem voran in der Naturgasindustrie, dem wichtigsten einzelnen Devisenbringer des an Rohstoffen enorm reichen Landes. Ein neues Fremdinvestitionsgesetz soll Investoren Sicherheit geben. Auch die Medien erfreuen sich einer noch vor kurzem nicht vorstellbaren Freiheit: am Montag gab die Regierung bekannt, auch die letzten Maßnahmen zur Zensur von Zeitungen und Zeitschriften einstellen zu wollen. Beobachter in Yangon rechnen jetzt mit einer deutlichen Expansion des Medienangebotes in Myanmar.

Für viele westliche Wirtschaftsvertreter sind die jüngsten ethnischen Unruhen zwar besorgniserregend und müssen verurteilt werden, sie zeigten jedoch nur einen Teil des Bildes. Das sagt Lukas Brandau, Geschäftsführer von econAN international. Das auf Südostasien spezialisierte Wirtschaftsberatungsinstitut aus Düsseldorf organsiert im November für deutsche Unternehmer eine Informationsreise nach Myanmar. Die blutigen Auseinandersetzungen seien „in keinem Fall zu tolerieren und müssen scharf verurteilt werden“, meint Brandau gegenüber Handelsblatt. „So bedauerlich die Vorkommnisse auch sind: am Ende läuft es darauf hinaus, dass eine Transformation von einer Militärdiktatur zu einer angestrebten Demokratie anscheinend nicht ohne Rückschläge und Auseinandersetzungen vollzogen werden kann“.

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Mit Blick auf mögliche Gefahren für Investoren weist der Experte darauf hin, dass die Auseinandersetzungen nur in einzelnen Regionen in Myanmar stattfinden. „Im Kernland, das für Investitionen momentan relevant ist, haben Investoren keine Unsicherheiten durch Auseinandersetzungen zu befürchten“. In den letzten Monaten habe sich „unheimlich viel in der Entwicklung demokratischer Strukturen getan“. Myanmar verfüge über eines der fortschrittlichsten Arbeitnehmerechte in Südostasien, mit der Zulassung von Gewerkschaften und Streikrecht. Demonstrationen seien „nach über 40 Jahren wieder erlaubt“. Solche Errungenschaften zeigten, „dass sich Myanmar auf einem unumkehrbaren Weg der Öffnung befindet und die Reformen ernst gemeint sind“. Deutsche Unternehmen sollten sich von einzelnen Rückschlägen nicht abschrecken lassen, meint Brandau. „Myanmar bietet hervorragende Potentiale in etlichen Bereichen und wird sich mit der richtigen Unterstützung durch den Westen sehr positiv entwickeln“.

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Renaud Egretaud, Professor für internationale Beziehungen an der University of Hongkong, ist vorsichtig. Er glaubt, dass die ehemalige britische Kolonie und spätere Militärdiktatur der Idee des freien Marktes eher skeptisch gegenüber stehe. „Die Birmesen waren nie große Kapitalisten“, meinte Egretaud jüngst in der Australian Financial Revue. „Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948 fokussierte die intellektuelle Debatte auf Sozialismus und Marxismus, nicht auf den Markt und Liberalismus. Erst müssen großflächige Reformen realisiert werden, bevor massive Fremdinvestitionen ins Land kommen können und das Birma zum ‚Eldorado‘ wird, von dem jeder spricht“.

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  • 22.08.2012, 21:23 UhrRechner

    O-Ton Handelsblatt
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    Doch blutige Ausschreitungen gegen Minderheiten wecken Zweifel, ob das Regime es mit der Demokratisierung ernst meint.
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    Diese Zweifel sind unangebracht.

    Schießlich beruht die "world's oldest democracy" (B. Clinton, inaugural address) auf dem Massenmord an den Ureinwohnern und dem Diebstahl ihres Landes.

    Demokratie und Achtung für Menschenrechte haben nicht viel miteinander zu tun.

  • 22.08.2012, 20:55 UhrBibi

    Möchten Sie lieber auf einem Wohlstandsniveau von Myanmar leben? Lässt sich leicht motzen, wenn man im viertreichsten Land der Welt lebt.

  • 22.08.2012, 20:25 UhrSilvercoin82

    Und wieder noch ein dummes Land gefunden, dass sich durch Schulden und leeren Versprechen versklaven lässt...

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