Ein neuer Tiger Asiens? Seit der Öffnung Myanmars geben sich westliche Diplomaten die Klinke in die Hand. Wirtschaftsdelegationen begleiten sie, um vom Reichtum des Landes zu profitieren.
Myanmar, das frühere Birma, war eine vergleichsweise reiche Kolonie, als es 1948 die Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte. Es galt als die Kornkammer Südostasiens, war ein wichtiger Exporteur von Kupfer und Edelsteinen. In den auf die Unabhängigkeit folgenden Jahren wurde das Land von ethnischen Konflikten erschüttert. Die Wirtschaft schrumpfte stetig. Als 1962 die Militärs die Regierung übernahmen, versetzten sie der Wirtschaft den Todesstoß.
Myanmar zählt heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Inflation hat die nationale Währung, den Kyat, fast vollständig entwertet. Eine überbordende Bürokratie erstickt jede private Initiative. Korruption ist weit verbreitet. Die Nichtregierungsorganisation Transparency International führt Myanmar auf ihrem Korruptionsindex auf Platz 180 von 183.
Wirtschaftswunderland Myanmar?
Myanmar habe das Potenzial, der nächste ökonomische Tiger Asiens zu werden, sagte Vijay Nambiar, Myanmar-Berater von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in der vergangenen Woche (25.04.2012). Meral Karasulu vom Internationalen Währungsfond (IWF) hatte bereits im Januar prophezeit: "Myanmar kann mit seinem Ressourcenreichtum, seiner jungen Arbeiterschaft und aufgrund der geographischen Lage zu einer der weltweit dynamischsten Wirtschaften werden."
Land vieler Möglichkeiten
Myanmar liegt strategisch günstig zwischen Indien und China am Golf von Bengalen. Für den Wirtschaftsgiganten China könnte das Land wichtig werden, um Waren nach Europa und Afrika zu exportieren bzw. Produkte aus Europa und Rohstoffe aus Afrika zu importieren, ohne den Umweg durch die Straße von Malakka zwischen Malaysia und Indonesien nehmen zu müssen. Zudem verfügt das Land über einen beträchtlichen Ressourcenreichtum. Die wichtigsten Exportgüter des Landes sind Erdgas, Strom aus Wasserkraft, Edelsteine, Land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse wie Holz und Reis.
Für Investoren bieten sich große Chancen: "Es ist ein sehr großer Markt vorhanden mit 60 Millionen Einwohnern, deren Einkommensniveau allerdings sehr niedrig ist.", sagt Michael Jungnitsch, Generaldirektor des TÜV Rheinland für Asien-Pazifik, Mitglied der Wirtschaftsdelegation, die jüngst Außenminister Westerwelle nach Myanmar begleitet hat.
Der weltweit aktive Fachinformationsverlag International Handling Services (IHS) fasst die Situation für Myanmar in Zahlen zusammen und sagt der Wirtschaft bis 2020 jährliche Wachstumsraten von sechs Prozent und eine Verdopplung des Bruttoinlandsprodukts auf 93 Milliarden Euro voraus.
Erste Anstrengungen der Regierung
Ein erster Schritt, um ausländisches Kapital in das Land zu locken, war die Normalisierung des Wechselkurses. Bis vor kurzem hatte die Regierung in der Hauptstadt Naypyidaw einen offiziellen Wechselkurs von 6,4 Kyat pro US-Dollar künstlich festgelegt. Der tatsächliche Wert der Währung lag aber bei ungefähr 800 Kyat pro US-Dollar. Die diese Woche eingeführte kontrollierte Wechselkursfreigabe nähert den offiziellen dem tatsächlichen Wechselkurs an. In Zukunft sollen die Schwankungen bei maximal zwei Prozent liegen. Unterstützung erhält Myanmar durch IWF, Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen.
Langer steiniger Weg
Investoren treffen außerdem auf eine verkrustete Bürokratie und eine seit Jahrzehnten wuchernde Korruption. "Bezüglich der Bürokratie hat das Industrieministerium ein klares Signal gegeben", berichtet Michael Jungnitsch. Drei zentrale Themen wolle die Regierung besonders angehen: ein neues Investitionsgesetz, die Abschaffung der Importlizenzen und eine Überarbeitung des Zollsystems. "Auch der Wille, die Korruption anzufassen, ist ganz klar da", bestätigt der Asien-Experte des TÜV-Rheinland.
Gefahr der Ausbeutung