Von Karl-Ludwig Günsche, Bangkok
Der Boom in Burma lässt sich aus den jüngsten Wirtschaftsnachrichten ablesen: Hyundai und Kia verhandeln mit dem burmesischen Autoimporteur Diamond Star über eine engere Partnerschaft. Der Elektronikriese Samsung drängt auf den burmesischen Markt. Zwei einheimische Händler sollen den Vertrieb für alle Samsung-Produkte ankurbeln. Myanmar Airways International verhandelt mit dem US-Flugzeugmakler "GE Capital Aviation Service" über den Ankauf moderner Düsenjets.
Internationale Hotelketten planen die Errichtung neuer Fünf-Sterne-Herbergen. Coca-Cola und das Kreditkarten-Unternehmen Visa setzen ebenfalls auf den neuen Markt. Und Bierbrauer Singha will in Nordburma gar eine gigantische Brauerei hochziehen, die ganz Südchina beliefern soll. "Für uns ist der Standort Burma erste Wahl in Südostasien", schwärmt Marketingchef Piti.
Seit das jahrzehntelang politisch und wirtschaftlich isolierte südostasiatische Land vor einem Jahr auf Reformkurs gegangen ist, geben sich die Investoren in Burmas Wirtschaftszentrum Rangun die Klinke in die Hand. Stephen Groff, Vizechef der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) schwärmt: "Burma ist der aufsteigende Stern an Asiens Himmel." In ihrem im August vorgelegten Bericht prophezeit die ADB Burma eine glänzende Zukunft: Ein jährliches Wirtschaftswachstum von mindestens acht Prozent in den kommenden zehn Jahren, die Verdreifachung des Bruttoinlandsprodukts bis 2030 und schon in 18 Jahren eine stabile und wohlhabende Mittelschicht.
Schon einmal war Burma die führende Wirtschaftsmacht in der Region: Vor einem halben Jahrhundert, bevor die Generäle die Macht an sich rissen und das rohstoffreiche Land in den Ruin trieben. Damals war Burma "die Perle Asiens" mit einem doppelt so hohen Pro-Kopf-Einkommen wie das Nachbarland Thailand. Heute hat Myanmar, wie es sich selber nennt, das geringste Bruttoinlandsprodukt ganz Südostasiens. 32 Prozent des 60-Millionen-Volkes leben unter der Armutsgrenze.
In Burma herrscht Goldgräberstimmung
Nach seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr hat Staatspräsident Thein Sein zunächst den Wandel Burmas von der Militärdiktatur zur Demokratie eingeleitet. Jetzt verkündete er, dass er die zweite Stufe des Reformprozesses zünden und das Land auch wirtschaftlich voranbringen will. Um den Aufbau voranzubringen und Investoren anzulocken, hat die Regierung ein ganzes Bündel von Reformmaßnahmen auf den Weg gebracht. "Das wirtschaftliche Reformpaket wird Burma zum neuen Mekka für die Investoren dieser Erde machen", prophezeit Sutapa Amonvivat, Chefvolkswirtin der "Siam Commercial Bank", und verspricht Investoren der ersten Stunde "immense Gewinne".
Seitdem herrscht Goldgräberstimmung in Burma. Die Immobilienpreise in der Wirtschaftsmetropole Rangun haben sich im vergangenen halben Jahr verdoppelt. Waren es zunächst Thailand, Singapur, Vietnam, Japan und Südkorea, die auf den neuen Boom-Markt drängten, kommen die Investoren jetzt aus allen Teilen der Welt: aus China, Russland, Hongkong, Indien und - seit die Sanktionen teilweise ausgesetzt sind - auch aus den USA und Europa. Auch deutsche Unternehmer und Manager haben ihre Marktchancen bei zwei Erkundungstouren sondiert. Die KfW-Bank berät von Singapur aus deutsche Mittelständler, die in Burma Geschäfte machen wollen.
Der Nachholbedarf ist enorm, die Infrastruktur des Landes desolat. Nur ein Viertel der Bevölkerung hat Zugang zur Stromversorgung. Das Transportwesen liegt danieder. Es gibt kein funktionierendes Tankstellennetz. Wasser- und Abwasserversorgung sind marode. Wohnungen fehlen. Das Gesundheitssystem ist ebenso verrottet wie das Erziehungswesen. Der Bankenbereich liegt danieder, Bargeld zählt.
Die Bank von Thailand berät die Zentralbank von Burma mittlerweile beim Aufbau eines modernen Bankwesens. 17 ausländische Banken warten auf eine Konzession zur Eröffnung des Geschäftsbetriebes. Schnelles Geld soll aber vor allem der Tourismus bringen: Die Zahl der Touristen hat sich seit 2010 verdoppelt. Noch fehlen Hotelbetten, um die Touristenmassen nach internationalem Standard unterzubringen. Internationale Ketten wollen deshalb so schnell wie möglich neue Unterkünfte im Wert von 1,1 Milliarden Dollar hochziehen.
Der Wohlstand muss gleichmäßig verteilt werden
Doch vor allem die ausländischen Firmen klagen trotz hoher Arbeitslosigkeit über einen eklatanten Mangel an Fachkräften. In den langen Jahren der Militärdiktatur haben gerade die gut ausgebildeten jungen Leute das Land verlassen. Präsident Thein Sein hat immer wieder an sie appelliert, zurückzukommen und beim Aufbau des Landes zu helfen. Doch das Echo blieb bescheiden. Zu groß ist bei den Auslands-Burmesen das Misstrauen in den Reformprozess, zu gering die Bereitschaft, für eine Chance in der Heimat den Job im Gastland aufzugeben.
Eines der größten Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist nach Ansicht des Präsidenten die Korruption. Burma stand 2011 auf Platz drei der Liste der korruptesten Nationen der Welt. Bei einem Treffen mit Ministern und Top-Verwaltungsleuten geißelte Thein Sein die auf allen Ebenen von Politik und Verwaltung übliche Bestechlichkeit als "unethisch und unmoralisch". Ansehen und Glaubwürdigkeit der Regierung werde durch diese Jahrzehnte alte Praxis befleckt, schimpfte er. Künftig werde er keine Korruption mehr dulden. Um sie einzudämmen, müsse in Zukunft jeder Verwaltungschef, jeder Abteilungsleiter, jeder Personalverantwortliche nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Fehlverhalten jedes Mitarbeiters geradestehen.
ADB-Vize Groff sieht allerdings noch eine andere, größere Gefahr: "Wenn die Wirtschaft wächst, kommt es entscheidend darauf an, dass die Armen und die Schwächsten im Lande am Aufschwung teilhaben." Nur wenn der Wohlstand gleichmäßig verteilt werde, könne Burma dem "Fluch des Reichtums" entkommen. Das Land dürfe die Fehler anderer rohstoffreicher Staaten beim Aufbau seiner Wirtschaft nicht wiederholen.
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