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Sturm „Eberhard“ und der ICE : „Sie haben natürlich alle eine Sitzplatzreservierung?“

Ein Aufenthaltszug der Bahn steht für gestrandete Bahnreisende im Hauptbahnhof. Mit Orkanböen bis Windstärke 12 hat das Sturmtief «Eberhard» am Sonntag den Bahnverkehr in Teilen Deutschlands zum Erliegen gebracht. Bild: dpa

Der Schnellzug von Köln nach Frankfurt wird plötzlich ganz langsam. Aufzeichnungen von einer Bahnfahrt im Zeichen des Sturms.

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          Wenn es nichts Schlimmeres gibt im Leben als ein paar verspätete Züge, dann geht es einem ja fast noch verhältnismäßig viel zu gut. Es gibt sicher gravierendere Probleme als das bisschen Ärger über fehlende Organisation oder das böse Wetter, das sich an den falschen Tagen fehlverhält, wie am Montag, als Eberhard wütet. Das Erste, was bahnerprobte Pendler dann an einem Morgen wie diesem tun, ist: liegen bleiben. Ein geübter Blick auf die App sagt: Eigentlich fallen alle Züge aus.

          Johanna Dürrholz

          Redakteurin im Ressort Gesellschaft bei FAZ.NET

          Die Bahn formuliert das dann natürlich etwas anders: Einzelne Züge zwischen Köln und Frankfurt auf der Schnellstrecke fallen leider aus. Und die, die nicht ausfallen, sind bisher auch allesamt nicht losgefahren, stellt man dann später am Bahnhof fest. Nicht sonderlich überraschend eigentlich: Die Pendler, die sonst mit den früheren Zügen gefahren wären, quetschen sich nun in einem kollektiven Akt der Verzweiflung in die einzige Bahn, die überhaupt vorhat zu fahren.

          Die hält dann, das verspricht die Bahn, zusätzlich in Limburg, Montabaur, Siegburg. Es ist natürlich eher unpraktisch, wenn eine Bahn zusätzlich an Orten hält, an die man nicht will, nie wollte und an denen sie eigentlich auch nie halten sollte. Das bedeutet zum einen, dass die Fahrt unnötig verlängert wird, und zum anderen, dass an diesen Orten womöglich noch mehr Menschen versuchen zuzusteigen. Wenn aber die Bahn vorher schon 35 Minuten lang nicht losfahren darf, weil sie überfüllt war, dann erscheinen die genervten Schaffner mit blutunterlaufenen Augen doch reichlich merkwürdig, die beständig an die Vernunft der Reisenden appellieren. Die Ratio, sie kann so schön sein, wenn in Maßen angewandt.

          Züge platzen aus allen Nähten

          Das gilt aber auch umgekehrt für den Zugführer eines Zugs, der aus allen Nähten platzt, der dann auf die glorreiche Idee kommt, an noch mehr Haltestellen zu stoppen, um noch mehr Leute erfolglos davon abzuhalten einzusteigen. Besonders schön sind auch die Versuche des mitleiderregenden Schaffners, die stehenden Gäste mit auf seine Seite zu ziehen: „Wenn wir gleich anhalten, machen wir es so: Sie lassen hier niemanden mehr rein.“ Wird gemacht, Chef!

          Aber gar nicht so leicht, man kann die flehenden Blicke der Reisewilligen schließlich nur zu gut verstehen: Wir müssen doch zur Arbeit! Zum Flughafen! Zum Geburtstag der Großmutter! Kein Herz haben die, die da nicht wenigstens ein bisschen zusammenrücken (sofern das letzte bisschen Platz es zulässt). Auch schön: Mehrere Leute an der nächsten Haltestelle reklamieren Sitzplätze für sich. „Zehn Personen?“, fragt der Schaffner. „Dann müssen zehn wieder raus.“



          Ein Satz, der Freude bereitet an Halten, die eigentlich nicht eingeplant waren. Stattdessen haut er aber ab, und Anarchie bricht aus. Alle Menschen, die noch irgendwie können, quetschen sich dazu. Dann kommt ein freundlicher, junger Mann vorbei, seines Zeichens Polizist. Will vielleicht mal abchecken, was hier so geht, Partyzug? „Sie haben natürlich alle eine Sitzplatzreservierung?“ – „Natürlich.“ Er geht wieder.

          Die Bahn fährt derweil natürlich nicht los, ist ja überfüllt. Dann wieder Polizei. „Also hier den ganzen Gang?“ Schock. „Nee, das geht jetzt erstmal so.“ Dann wieder Stille. Die Tür geht auf, es quetschen sich wieder einige Fahrgäste dazu. Die Neuen bringen frischen Wind rein, man tauscht sich aus. „Ich stehe seit einer Stunde in der Kälte am Gleis, hier ist es angenehmer.“ Telefonate werden geführt, Büros angerufen. „Du musst meinen Termin verlegen, ich bin immer noch in Siegburg“; „Gibt es noch einen anderen Flughafen in der Nähe?“

          Nach einer halben Stunde in Siegburg/Bonn gibt man auf. Es ist 9.35 Uhr. Um 07.20 war man am Kölner Hauptbahnhof. Es gibt wirklich Schlimmeres als ein paar verspätete Bahnen, denkt man noch, als man sich zum wütenden Mob am Bahnsteig gesellt. „Das muss doch jemand regeln!“, ruft eine Frau. „Wir fragen ja schon die ganze Zeit, ob nicht noch jemand aussteigen kann“, piepst der Schaffner. „Unglaublich!“, kommt es aus dem Mob. In Siegburg nieselt der Schneeregen. Das Leben ist schön.

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