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Deutschland ICE-Ruhebereich

Die Bahn ist bei Handy-Nervensägen völlig machtlos

| Lesedauer: 5 Minuten
Politikredakteur
Ist doch eigentlich leicht zu verstehen: Piktogramme an den Ruhebereichen der ICEs zeigen an, dass hier nicht telefoniert und auch von sonstigem Lärm abgesehen werden soll. Viele aber halten sich nicht dran Ist doch eigentlich leicht zu verstehen: Piktogramme an den Ruhebereichen der ICEs zeigen an, dass hier nicht telefoniert und auch von sonstigem Lärm abgesehen werden soll. Viele aber halten sich nicht dran
Ist doch eigentlich leicht zu verstehen: Piktogramme an den Ruhebereichen der ICEs zeigen an, dass hier nicht telefoniert und auch von sonstigem Lärm abgesehen werden soll. Viele a...ber halten sich nicht dran
Quelle: DB Systel GmbH
Wer mit seinem Handy die Mitreisenden quält, muss keine Sanktionen befürchten. Denn die Bahn kann nur ein „Gebot der Rücksichtnahme“ erlassen. Aus dem Zug werfen kann sie die Nervensägen nicht.

Es ist ja schön für die ältere Dame, dass sie ihren Sitzplatz gefunden hat und sich nun freut, nachher ihre Lieben zu sehen. Das aber gilt für die meisten Leute in diesem ICE. Es bedarf also keiner lautstarken Erwähnung. Die Frau lässt uns ihr Glück aber trotzdem in aller Ausführlichkeit wissen, da sie es ins Handy ruft.

Ist ein solches Telefonat aber nur unnötig, so grenzt es schon an Verstöße gegen Verschwiegenheitspflichten, wenn Anwälte im Großraumabteil für alle gut hörbar mit Mandanten am Telefon ganze Strafsachen durchgehen oder Abteilungsleiter über ihre Mitarbeiter lästern. Doch auch abgesehen von Schweigepflichten: Niemand will so etwas hier hören. Denn man hat ja eigens einen Platz in jenem Bereich reserviert, wo Schilder mit durchgestrichenem Handy und „Psst“-Piktogramm kleben und an der Tür in gleich mehreren Sprachen „Ruhebereich“ steht. Telefoniert jedoch wird trotzdem.

Schaffner ohne Macht

Wer aber nun den Schaffner ruft und um Beistand gegen solche Handylärmer bittet, kann kein hartes Durchgreifen erwarten. Zwar sind viele Zugbegleiter, obwohl sie von unverschämten Reisenden schon genug geplagt werden, durchaus bereit, sich auch noch mit Telefonjunkies abzugeben. Aber verpflichtet ist das Zugpersonal dazu nicht, und ausrichten kann es auch nicht viel. Denn nach Auskunft einer Bahnsprecherin ist die Handybenutzung in den Ruhebereichen nicht im eigentlichen Sinne verboten.

Es gelte, so wird auf Nachfrage deutlich, hier nur ein „Gebot der Rücksichtnahme“, mit dem die Bahn in den gekennzeichneten Bereichen dazu auffordere, andere Fahrgäste nicht zu stören. Sanktionsmöglichkeiten gibt es nicht. Anders als jene, die im Zug rauchen, können telefonierende Störenfriede nicht an der nächsten Station auf den Bahnsteig gesetzt werden.

Bei einigem Nachdenken lässt sich das auch verstehen. Denn wer Handynutzer rauswürfe, müsste genauso gegen jenen Freundeskreis vorgehen, der in der Vierergruppe mit Tisch den vorangegangenen Abend ganz ohne Handy, aber mit lautem Gelächter durchhechelt.

Rechtliche und moralische Probleme

Außerdem gibt es ja noch Kleinkinder, die hin und wieder halt schreien. Es ist undenkbar, diese Kinder, die durchaus mehr Lärm verursachen können als zumindest dezentere Handynutzer, aus dem Zug zu werfen.

Und Familien mit solchen Kindern in die lauteren Bereiche zu schicken wäre nicht nur arg ruppig, sondern ist zuweilen sogar unmöglich, wenn nämlich alle anderen Plätze schon ausgebucht sind. Im Übrigen: Wenn ein schreiendes Kind endlich schliefe, würde es im Handybereich ja womöglich geweckt und würde von Neuem weinen.

So wird rasch deutlich: Die Bahn bekäme rechtlich wie moralisch gewaltige Probleme, wenn sie die Handynutzung an den nicht dafür vorgesehen Orten hart bestrafen würde, jedoch andere Lärmverursacher ungeschoren ließe. Und wenn sie alle Unruhestifter aus den Ruhebereichen hinausschicken würde, wären die Probleme noch größer.

Grüne gegen strenges Verbot

Insofern hatte die Bahn, indem sie für 25 Prozent aller ICE-Sitzplätze Ruhebereiche einrichtete – in Intercitys und Regionalzügen gibt es das nicht –, eine schöne Idee. Aber die funktioniert nur, wenn die Leute von sich aus zivilisatorische Mindeststandards einhalten und mal nicht ins Mobiltelefon quasseln.

Auch die Grünen, in deren Neigung zu Verboten man als Lärmgeplagter durchaus Hoffnungen gesetzt hatte, sind nicht bereit, hier strengere Regeln zu fordern. Zwar klagt ihr verkehrspolitischer Sprecher im Bundestag, Stephan Kühn, über die Belästigung durch die Vieltelefonierer.

Doch von einer harten Gangart will er nichts wissen und verweist stattdessen darauf, dass hier wie an allen öffentlichen Orten „soziale Kompetenz“ gefordert sei. Und zwar von den Freunden des Telefons, die auf ihre Gespräche entweder mal verzichten oder, wenn das Verlangen unstillbar groß wird, in den Vorraum gehen beziehungsweise sich von Anfang an in den Handybereich setzen sollten.

Helfen mehr Schilder?

Einen pragmatischen Vorschlag macht der Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Gerd Aschoff: „Es wäre durchaus zu überlegen, ob die Ruhebereiche nicht besser ausgeschildert werden sollten“, sagte Aschoff der „Welt“. In der Tat sind die Hinweisschilder zumindest in den Großraumwagen eher spärlich angebracht.

Und da viele Bahnkunden ja sowieso alles übersehen, worauf sie nicht mit der Nase gestoßen werden – vom Wagenstandanzeiger auf dem Bahnsteig über die Angaben zu den Sitzplatznummern auf den Außenwänden der Waggons bis hin zur Zugbindung bei Sparpreisen –, wäre es wohl nicht verkehrt, im Ruhebereich auf der Rückseite jedes Sitzes ein Piktogramm mit durchgestrichenem Handy zu platzieren. Damit auch die letzten Ignoranten merken, dass hier nicht telefoniert werden soll.

Aschoff geht aber noch weiter und fragt, „ob man nicht mehr für die Geräuschdämmung in den Abteilen tun könnte“. Vorhänge oder etwas dickere Teppiche würden „sicher auch bewirken, dass man nicht alle Gespräche und sonstigen Lautäußerungen aller Mitreisenden in voller Lautstärke hören muss“. In Schweizer Zügen etwa sei die Lärmdämmung besser.

Schwarzer Peter für Ruhebedürftige

Allerdings sagt auch Aschoff, dass strenge Verbote nicht praktikabel seien. Die Leute müssten einfach wieder lernen, mehr Rücksicht auf die Ruhebedürfnisse ihrer Mitmenschen zu nehmen.

Doch den Schwarzen Peter haben letzten Endes die stillen Zeitgenossen. Denn die werden nicht nur beim Schlafen oder Lesen gestört, sondern müssen dann auch noch aufstehen und die Krachmacher höflich um Ruhe im Ruhebereich bitten. Ja, manchmal müssen sie Handynutzern sogar eine regelrechte Geräteeinweisung geben. Indem sie ihnen nämlich erklären, dass sich Klingeltöne auch ausschalten und durch Vibrationsalarm ersetzen lassen.

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Einziger Trost: Wer nicht Bahn fährt, sondern fliegt, wird es bald nicht mehr besser haben. Denn moderne Handysysteme stören nicht die Bordelektronik von Flugzeugen. Daher ist damit zu rechnen, dass zumindest einige Airlines demnächst das Telefonieren an Bord erlauben dürften.

Nachbemerkung des Autors: Vielleicht war es ein Fehler, diesen Text zu schreiben. Denn nun werden sich Handyrüpel möglicherweise noch weniger dazu bringen lassen, im ICE-Ruhebereich endlich mal das Telefonieren zu unterlassen. Man hört sie ja schon, die Unverschämten in ihrer Mischung aus Schlaubergertum und Rücksichtslosigkeit: „Ist ja gar nicht verboten!“

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