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Beim französischen ICE kommt jetzt alles auf den Prüfstand

| Lesedauer: 6 Minuten
Der TGV muss dringend wirtschaftlicher werden. Der TGV muss dringend wirtschaftlicher werden.
Der TGV muss dringend wirtschaftlicher betrieben werden
Quelle: Getty Images
Der Prestigezug TGV macht Frankreich Sorgen. Die Tickets sind teuer, viele Strecken dennoch defizitär. Nun soll eine Reform her. Davor zittern vor allem die Bürgermeister mittlerer Städte – und die Lokführer.

Freitagnachmittag im Gare de Lyon. Paare, Familien mit Kindern und Einzelreisende stehen dicht gedrängt in den Hallen des Pariser Bahnhofs, neben sich Koffer und Taschen. Wer es eilig hat, zu seinem Zug zu kommen, muss sich auf einen mühsamen Slalomlauf einstellen. So ist es jedes Mal, wenn sich die Arbeitswoche dem Ende zuneigt. Viele Bewohner der französischen Hauptstadt wollen dann nur eins: Ins Wochenende in den Süden fahren, um für ein paar Tage der Hektik von Paris zu entfliehen. Dank des TGV-Hochgeschwindigkeitszuges ist das 775 Kilometer entfernte Marseille nur noch drei Stunden weit weg.

Der TGV ist Frankreichs ganzer Stolz. Er gilt als Erfolgsmodell, der Fluggesellschaften auf etlichen Verbindungen das Fürchten gelehrt hat. Statt wie sein deutsches Pendant muss er auf vielen Strecken nicht dauernd einen Stopp einlegen, sondern kann einfach durchbrausen, da es in Frankreich noch immer viele Gegenden gibt, die vergleichsweise dünn besiedelt sind. Doch jetzt will die Regierung von Präsident Emmanuel Macron das Modell der französischen Staatsbahn auf den Prüfstand stellen. Jean-Cyril Spinetta, einst Chef der Fluggesellschaft Air France-KLM, soll ein neues Konzept entwickeln, um die SNCF fit für die Zukunft und die Liberalisierung des Zugverkehrs zu machen.

Spinettas Aufgabe gilt als hochexplosiv. Denn er soll vor allem über das wirtschaftliche Modell der SNCF nachdenken, über die Anzahl der angesteuerten Bahnhöfe und die Ticketpreise. „Die TGV-Tickets gelten als teuer, und doch sind gleichzeitig 70 Prozent der Strecken defizitär“, sagt Transportministerin Elisabeth Borne. Der TGV bringe heute Reisende mitten in das Zentrum vieler kleiner Städte. Man müsse sich nun ernsthaft die Frage stellen, ob das überhaupt sinnvoll sei. „Um einen Vergleich mit dem Luftverkehr zu ziehen: Man fliegt Brive ja auch nicht mit dem A380 an“, meint Borne.

Mit dieser Bemerkung hat die Transportministerin in Frankreich für Unruhe gesorgt. Fahrgäste und Lokalpolitiker sind beunruhigt, dass ihre Bahnhöfe künftig nicht mehr vom Hochgeschwindigkeitszug angefahren werden könnten. Aus deutscher Sicht mag die Überlegung, die Zahl der TGV-Haltestellen zu reduzieren, auf den ersten Blick verwundern, da in Frankreich gefühlt ohnehin sehr viel weniger Bahnhöfe von dem Hochgeschwindigkeitszug bedient werden. Das mag auf wichtigen Vorzeigestrecken stimmen, wo der Hochgeschwindigkeitszug ohne Zwischenstopp von Paris nach Bordeaux, Lyon, Lille oder Marseille durchrauscht.

Der japanische Tokaido Shinkansen als Vorbild

Doch ansonsten täuscht der Eindruck. Laut der Internetseite der SNCF werden derzeit 230 Bahnhöfe vom TGV angefahren, davon liegen jedoch rund 50 im Ausland. Mit 170 Haltestellen in seinem Heimatland hat der französische Hochgeschwindigkeitszug etwas weniger als sein deutsches Pendant ICE, der in rund 180 Bahnhöfen hält. Der TGV fährt etliche Kommunen mit weniger als 20.000 Einwohnern an, etwa das 37 Kilometer von La Rochelle entfernten Surgères, Landerneau in der Bretagne oder Remiremont in Lothringen.

Solche kleinteiligen Verbindungen hätten nicht unerhebliche Auswirkungen auf das wirtschaftliche Modell des Hochgeschwindigkeitszuges, meint Borne. Denn die Idee dahinter war eigentlich, große Einzugsgebiete durch Züge zu verbinden, die auf speziell ausgebauten Hochgeschwindigkeitstrassen mit einer Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometern fahren.

Fast 40 Prozent der TGVs würden jedoch auf klassischen Bahnstrecken mit verringerter Geschwindigkeit verkehren, kritisiert der französische Rechnungshof in einem 2014 veröffentlichten Untersuchungsbericht. Um wirklich eine Zeitersparnis zu bringen, sollte der Hochgeschwindigkeitszug möglichst wenig in mittelgroßen Städten halten, außer diese hätten ein großes Einzugsgebiet, empfahl er. So würde der Tokaido Shinkansen in Japan nur 17 Bahnhöfe bedienen und trotzdem 50 Prozent mehr Passagiere befördern. Gleichzeitig habe die Bahngesellschaft SNCF in den vergangenen Jahren zu wenig in klassische Regionalzüge investiert, kritisieren Experten.

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Nun das wirtschaftliche Modell der französischen Bahn zu überdenken ist dringend notwendig. Denn SNCF Réseaux, die für die Wartung und Betrieb des Schienennetzes zuständige Einheit, ächzt unter einem Schuldenberg von 46,1 Milliarden Euro, die für den Zugbetrieb zuständige SNCF Mobilités hat 7,7 Milliarden Euro Schulden. Die Verschuldung von SNCF Réseaux steigt jedes Jahr um drei Milliarden Euro. Die Muttergesellschaft SNCF zahlt ihr für die Nutzung der Schienen Gebühren, die je nach Strecke und angefahrenem Bahnhof variieren. Diese Gebühren machen rund 40 Prozent der Ticketgebühren aus.

Unmut bei Bürgermeistern mittelgroßer Städte

Verbraucher kritisieren jedoch bereits heute, dass die TGV-Tickets, deren Preise wie bei Fluggesellschaften mithilfe des sogenannten Yield Managements festgelegt werden, zu teuer seien. Es gibt zwar Ermäßigungskarten für Studenten oder für Passagiere, die am Wochenende verreisen. Auch gibt es sehr teure Vielfahrerabonnements und einen speziellen Low-cost-TGV, in dem Reisende wie bei Billig-Airlines nur ein Gepäckstück mitnehmen dürfen, doch eine der Bahncard vergleichbare Vergünstigungskarte gibt es in Frankreich nicht.

Spinetta steht nun vor der schwierigen Aufgabe, ein Geschäftsmodell für die SNCF und den TGV zu entwickeln, das für die Bahn rentabel und für Verbraucher akzeptabel ist. Vor allem muss er die SNCF für die Liberalisierung fit machen, denn ab 2020 muss Frankreich den Hochgeschwindigkeitszugverkehr für die Konkurrenz öffnen, Ende 2023 dann auch Regionalzugstrecken.

Die mögliche Reduzierung der Anzahl der von dem Hochgeschwindigkeitszug angesteuerter Bahnhöfe sorgt bereits jetzt für Unmut bei Regionalpolitikern. Die Bürgermeister von mittelgroßen Städten wie Bourg-en-Bresse, Libourne, Arras, Béthune und Angoulême wollen jetzt versuchen, Transportministerin Borne davon zu überzeugen, dass der Halt des Hochgeschwindigkeitszuges für ihre Gemeinden wirtschaftlich wichtig ist.

Die von Präsident Macron in Aussicht gestellte Reform der Staatsbahn SNCF ist aber auch aus anderen Gründen explosiv. Denn er will auch die Spezialrenten der Mitarbeiter abschaffen. Dies ist für ihn die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der Staat hilft, die Schulden der Bahn zu erleichtern, wie aus einem Gespräch Macrons mit dem Mitarbeitermagazin der SNCF hervorgeht. „Wir fordern von der SNCF, dass sie bei den Reformen, beim Statut, bei der Mobilität, bei den Renten einen Schritt weitergeht“, sagt er. „Für die SNCF ist es wichtig, dass wir ihre finanzielle Struktur erleichtern und wir die Renovierung des bestehenden Netzes begleiten.“

SNCF-Lokführer dürfen mit 52 in den Ruhestand

Sollte der französische Staat die Schulden der Bahn oder einen Teil davon übernehmen, hätte das auch Auswirkungen auf den Haushalt. Die Gesamtverschuldung der Bahn entspricht 2,4 Prozent des französischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch die von Macron geforderte Abschaffung der Spezialrenten der SNCF dürfte weitreichende Auswirkungen haben.

Macron will nämlich 2018 das Rentensystem reformieren und die 25 verschiedenen Rentenkassen in einer bündeln. Dadurch würden die auf das 17. Jahrhundert zurückgehenden Spezialrenten abgeschafft, die ursprünglich für besonders beschwerliche Tätigkeiten eingeführt wurden. Sie sichern rund 100 Berufsgruppen wie Lokführern der SNCF Privilegien wie zum Beispiel ein sehr frühes Renteneintrittsalter.

Bereits mehrere Regierungen haben versucht, die Spezialrenten abzuschaffen. Doch ihre Pläne wurden jedes Mal von den Gewerkschaften torpediert, sodass die Privilegien der Spezialrenten noch immer bestehen. Die Lokführer der SNCF dürfen mit 52 Jahren in Rente gehen. Für diejenigen, die fünf Jahre vor der Rente stehen, dürfte sich nichts ändern, deutete Macron im Gespräch mit der SNCF-Mitarbeiterzeitung an.

Bahntechnikgiganten Siemens und Alstom wollen fusionieren

Der Münchner Industriekonzern Siemens legt seine Zugsparte mit dem französischen Rivalen Alstom zusammen. Künftig werden die Spitzenzüge TGV und ICE aus einem europäischen Konsortium kommen.

Quelle: N24/Mick Locher

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