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Der neue „ICE“ ist gut wie nie – und wird nicht in Deutschland fahren

| Lesedauer: 7 Minuten
Wirtschaftskorrespondent
So soll der neue Hochgeschwindigkeitszug von Siemens aussehen So soll der neue Hochgeschwindigkeitszug von Siemens aussehen
So soll der neue Hochgeschwindigkeitszug von Siemens aussehen
Quelle: Siemens AG
Seit Jahrzehnten baut Siemens für die Deutsche Bahn die ICE-Flotte. Doch jetzt hat der Konzern einen Zug vorgestellt, der wohl nie unter dem Kürzel fahren wird. Dabei hat er einige Vorteile im Vergleich zur letzten ICE-Generation.

Siemens schlägt ein neues Kapitel im Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der Schiene auf: Der Konzern hat in seinem Bahnwerk Krefeld erstmals den neuen Superschnellzug Velaro Novo vorgestellt. Der Zug wird bis zu 360 Stundenkilometer schnell sein, gleichzeitig aber bis zu 30 Prozent weniger Energie verbrauchen. Möglich ist das unter anderem durch eine neue Leichtbauweise, mit deren Hilfe das Gewicht pro Zug um 15 Prozent reduziert werden konnte.

„Was wir heute präsentieren, ist das Ergebnis von fünf Jahren detaillierter Entwicklung: eine Plattform mit einzigartig optimiertem Energieverbrauch und Wartungsaufwand sowie maximaler Flexibilität und Zuverlässigkeit“, sagt Sabrina Soussan, Vorstandsvorsitzende der Division Mobility von Siemens.

Der Velaro Novo ist eine Mischung aus Neu- und Weiterentwicklung des Typs Velaro, der in Deutschland unter dem Namen ICE 3 im Einsatz ist. Er soll den Bahnbetreibern und den Fahrgästen durch neue Entwicklungs- und Produktionsmethoden gleichermaßen Vorteile bieten. Zunächst weist der neue Hochgeschwindigkeitszug gegenüber seinem Vorgänger 20 Prozent geringere Investitionskosten auf.

Das Prinzip der leeren Röhre

Darüber hinaus ist der neue Superschnellzug nach dem Prinzip der „leeren Röhre“ konzipiert, dass heißt, den Entwicklern wurden keine Vorgaben durch eine festgelegte Innenraumgestaltung gemacht. Das bedeutet, dass keine festen Einbauten vorhanden sind und sich die Innenräume nach den Vorstellungen des Kunden einrichten lassen – das soll am Ende den Passagieren zugutekommen. Zudem bietet der neue Zug bei gleichem Raummaß rund zehn Prozent mehr verfügbare Fläche.

Siemens hat bereits vier Generationen des Velaro entwickelt. Die Züge sind seit dem Jahr 2000 im Einsatz und derzeit in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz, Spanien, Frankreich, China, Russland, Großbritannien und in der Türkei in Betrieb. Täglich legen sie mehr als eine Million Flottenkilometer zurück. Der Velaro Novo kann ab Anfang 2023 in Betrieb gehen. Derzeit absolviert ein Novo-Testwagen als Teil eines ICE S der Deutschen Bahn Probefahrten in ganz Deutschland.

An die Neuentwicklung wurden vier Anforderungen gestellt, die die Entwickler nun nach mehrjähriger Arbeit als erfüllt ansehen: Die neue Zuggeneration soll mit mehr intelligenter Technik ausstattbar sein, damit sie beispielsweise schon auf der Strecke nötige Wartungsarbeiten an die Instandhaltungswerke meldet, einen möglichen Ausfall von Bauteilen berechnet oder den Zustand der Schienenwege überprüft, um vorhandene Abnutzungen und Schäden an den Gleisen zu melden.

Geschwindigkeit allein reicht nicht mehr

Durch solche Melde- und Frühwarnsysteme, die es in einfacher Form bei Hochgeschwindigkeitsbahnen bereits gibt, soll die Verfügbarkeit der Züge verbessert und Zugausfällen vorgebeugt werden, das ist das zweite Ziel der Siemens-Entwickler.

Seit April 2018 testet Siemens einen Prototyp-Wagen innerhalb des ICE S, eines Testzugs der Deutschen Bahn
Seit April 2018 testet Siemens einen Prototyp-Wagen innerhalb des ICE S, eines Testzugs der Deutschen Bahn
Quelle: Siemens AG

Im spanischen Hochgeschwindigkeitsverkehr sind bereits Systeme dieser Art im Einsatz. Die Verfügbarkeit des Velaro auf der Strecke Madrid–Barcelona habe deshalb in den vergangenen 14 Jahren bei hundert Prozent gelegen, sagte Sabrina Soussan. Die bei Kunden der Deutschen Bahn gefürchteten „Verzögerungen im Betriebsablauf wegen technischer Störungen“ dürften sich damit, zumindest was die Fehlerquelle Zug angeht, deutlich verringern.

Mit Schnelligkeit, weniger Gewicht und mehr Technik allein dürfte Siemens allerdings der Konkurrenz nicht davonfahren können. Hochgeschwindigkeitszüge in China, Frankreich oder Japan rasen schon jetzt mit rund 350 Kilometern pro Stunde und schneller über die Strecken und werden ständig technisch verbessert. Der Clou des Velaro Novo sollen daher auch seine geringeren Kosten im Betrieb sein – die dritte Anforderung an die Bahn-Entwickler bei Siemens.

Den Komfort bestimmt die Deutsche Bahn

Im Fokus der Bahnbetreiber standen bislang vor allem die Einzelkosten der Schnellzüge. Doch die Hälfte der Kosten der Hochgeschwindigkeitsbahnen fallen während ihrer Einsatzzeit durch den Betrieb, die Wartung und den Energieverbrauch an. Beim Velaro Novo sollen allein die Instandhaltungskosten rund knapp ein Drittel unter dem bisherigen Volumen pro Zug liegen.

Ziel vier, nämlich am Ende mehr Komfort für die Fahrgäste zu schaffen, wird allerdings vor allem Aufgabe der Bahnen sein, die den neuen Hochgeschwindigkeitszug bestellen sollen. Sie haben bislang schon in großem Umfang darüber bestimmt, wie die Züge im Innenraum gestaltet werden – bei den ICE macht dazu die Deutsche Bahn die Vorgaben, beim französischen TGV von Alstom die Staatsbahn Frankreichs SNCF.

Dass die Bahnen Möglichkeiten zu mehr Flexibilität nicht immer im Sinne des Kunden nutzen, zeigt das Beispiel des ICE 4, den Siemens und Bombardier für die Bahn bauen. Der ICE 4 ist eine abgespeckte Version des alten Velaro und lässt in den Abteilen deutlich stärker das Gefühl von Enge aufkommen als in den Wagen von ICE 3 und älteren ICE-Baureihen.

Wohl keine Order aus Deutschland

Siemens ist bereits mit ersten Bahnen über Bestellungen für den Velaro Novo im Gespräch, darunter angeblich auch mit der Deutschen Bahn. Dass die DB aber tatsächlich in absehbarer Zeit Interesse an dem Superschnellzug hat, wäre eine Überraschung. Der Konzern hatte zuletzt 119 ICE-4-Züge bestellt, die Konsortialführer Siemens mit Bombardier bis 2023 liefern soll. Das Auftragsvolumen liegt bei 5,3 Milliarden Euro. Nun wird die Order aufgestockt. Eine Milliarde Euro zusätzlich soll in weitere Hochgeschwindigkeitszüge und in das Aufmöbeln alter ICE fließen, die nun länger durchhalten sollen.

Dass danach noch Geld für den Velaro Novo übrig ist, scheint eher unwahrscheinlich. Zumal schon der ausgeschiedene Bahnchef Rüdiger Grube dem Kauf neuer Superschnellzüge eine Absage erteilt hatte. In Deutschland hält ein Fernzug im Schnitt alle 50 Kilometer, da rechnen sich Züge, die 350 Stundenkilometer schnell sind, nur auf wenigen Strecken. Der ICE 4 kommt daher nur auf eine Maximalgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern und gilt damit nicht als Hochgeschwindigkeitszug.

Siemens zielt daher mit dem Velaro Novo neben Europa, und dort vor allem Großbritannien, auf Märkte in Nord- und Südamerika und Asien. In den USA und Brasilien beispielsweise sind neue Hochgeschwindigkeitsstrecken geplant, ebenso in Malaysia oder Singapur. Der Vorteil des Novo: Er ist nach dem Industriestandard TSI (Technical specifications for interoperability) entwickelt worden, der künftigen weltweiten Norm im Schienenverkehr. Damit soll das Zeitalter der nationalen Eigenheiten im Bahnbetrieb beendet werden.

Damit ist der Velaro Novo für grenzüberschreitende Einsätze besser geeignet als andere Hochgeschwindigkeitszüge, weil er von Anfang an für eine Nutzung unterschiedlicher Schienensysteme ausgelegt ist.

Brisanter Zeitpunkt für Vorstellung

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Siemens stellt seinen neuen Hochgeschwindigkeitszug zu einem brisanten Zeitpunkt vor: Die Bahnsparte des Münchner Konzerns steht kurz vor einem Zusammengehen mit dem französischen Zughersteller Alstom. Und die Franzosen arbeiten ebenfalls an einem neuen Superschnellzug, der schon 2020 auf die Schienen kommen soll – also drei Jahre vor dem Velaro Novo. Ende des Jahres soll die deutsch-französische Fusion besiegelt sein und künftig hätte Siemens-Alstom gleich zwei neue Hochgeschwindigkeitszüge im Angebot, die miteinander konkurrieren würden.

Zwar steht Alstom gut da und die Bahnsparte von Siemens noch besser. Dennoch soll der neue Schienenkonzern aus beiden Unternehmen nicht nur fit gemacht werden für die wachsende Konkurrenz durch den chinesischen Bahnkonzern China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC), der sich innerhalb weniger Jahre zum mit Abstand größten Schienentechnik der Welt entwickelt hat, sondern auch deutliche Einsparungen erzielen.

Quelle: Infografik WELT

Mindestens 450 Millionen Euro will Siemens-Chef Joe Kaeser durch die Fusion einsparen, spätestens im vierten Jahr des Zusammenschlusses. Da sind zwei Superschnellzüge im Portfolio nicht unbedingt ein idealer Beitrag, weil parallele Projekte Kräfte binden.

Ein Ende des Projekts ist keine Option

Henri Poupart-Lafarge, Chef von Alstom und des Gesamtkonzerns nach der Fusion mit der Bahnsparte von Siemens, hat bereits angekündigt, dass die Züge „nach und nach von einer einheitlichen Plattform kommen“, von der dann im Baukastensystem verschiedene Modelle abgeleitet werden.

Das klingt nach einem Entweder-Oder bei den Superschnellzügen, aber der neue TGV und der Velaro Novo werden wohl dennoch beide eine Zukunft im Konzern haben – denn die Züge sind in vieler Hinsicht grundverschieden. Und es gibt Kunden, die nur auf den TGV oder auf die Velaro-Baureihe setzen.

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Während Alstom seine TGVs mit Triebköpfen an den Zugenden antreibt, setzt Siemens auf Motoren direkt an den einzelnen Achsen der Wagen. Die französische Staatsbahn SNCF setzt vor allem auf Doppelstockwagen die Deutsche Bahn auf einstöckige. In diesem Fall ist es günstiger, die Motoren an den Achsen anzubringen.

Doch bei Doppelstockwagen ist dafür kaum noch Platz. Die gesamte Höhe der Züge wird perfekt ausgenutzt, um viele Passagiere unterzubringen. Da ist es besser die ganze Technik in den Triebköpfen der Züge unterzubringen. „Es ist Ansichtssache, welche Technologie man bevorzugt“, sagt ein Siemens-Ingenieur. Das Projekt Velaro Novo wegen der Fusion mit Alstom auf Eis zu legen, sei aber wegen eines anderen Grundes keine Option: Siemens arbeite seit 2013 an dem neuen Zug. Und schon der alte Velaro war mit 800 abgesetzten Stück ein Verkaufsschlager.

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