BILD-Reporter Im ICE von Berlin nach Hamburg Die Bahn ist kaputter als das Klima

Soll unser Klima retten, aber ist noch kaputter: die Deutsche Bahn
Soll unser Klima retten, aber ist noch kaputter: die Deutsche BahnFoto: Annette Riedl / dpa

Wir retten das Klima. Mit der Bahn.

Sonntag, Hauptbahnhof Berlin, Tatort ICE 706 München-Hamburg. Gleis 7, 19.30 Uhr. Der Zug hätte um 18.38 Uhr abfahren sollen. Hätte. Jetzt stehen 1000 Leute mit Gepäck am Bahnsteig. Viele haben nicht diesen ICE 706 gebucht, aber auch die folgenden Züge nach Hamburg haben bis zu 60 Minuten Verspätung. Eine technische Störung, wohl eine Oberleitung im Eimer.

Der ICE 706 rollt ein, 57 Minuten zu spät. Alle stürmen die Abteile. Ich auch, mein gebuchter ICE 504 kommt erst in einer Stunde.

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Der Zug ist gnadenlos überfüllt. Fahrgäste drängen sich in den Gängen. Ein junger Mann fragt, ob er sich genau da, wo ich stehe, auf den Boden setzen darf. Er darf. Ich hatte meinen Stehplatz ja nicht reserviert.

Ich kämpfe mich durch die Abteile, steige über am Boden kauernde Menschen, erreiche das Bordrestaurant. Es ist überfüllt – und geschlossen.

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Eine Frau im Bahn-Kostüm sagt: „Das Restaurant bleibt dicht. Ich bin allein, da schaffe ich nur das Bistro.“ Das Bistro im ICE ist so was wie der Freibad-Kiosk. Als die Klappe öffnet, stehe ich vorn in der Schlange. Ich bestelle Weißwein. Es gibt nur noch Chardonnay, für 6,50 Euro. Es ist das letzte Fläschchen Weißwein, das übrig ist. Pommes sind aus, Currywurst ist aus.

Die nette Bedienung schiebt ein Schinken-Käse-Ciabatta (4,90 Euro) über den Tresen. Das war in Plastik verschweißt, kommt aus der Mikrowelle, wie fast alles hier. Auch die Fleischsoße für die Nudeln. Schöne Grüße aus der Massentierhaltung an die Klima-Retter.

Gedränge im Bord-Bistro. Es gibt nur noch Stehplätze
Gedränge im Bord-Bistro. Es gibt nur noch StehplätzeFoto: Ralph Große-Bley

Das Ciabatta ist lau statt warm, sagt die Bedienung: „Sorry, der Strom fällt dauernd aus.“ Genau wie die Internet-Verbindung. Zu dritt arbeiten sie hier sonst, sagt die Bahnfrau. Aber heute ist nicht sonst, sondern Sonntag. Zwei Kollegen fehlen. Das ist keine technische, das ist eine menschliche Störung.

Seit einer Weile steht „Tatort“-Star Jan Josef Liefers neben mir. Er hat Durst, muss sich 20 Minuten anstellen. Liefers guckt mich an, meinen Wein, sagt: „Sie waren wohl schneller …“ Liefers bestellt zwei Pils für 7,60 Euro – im Glas, das ist nur in der 1. Klasse erlaubt.
2. Klasse ist Plastik. Klar.

Die Bedienung zapft das Pils in einen Pappbecher, kippt es dann durch den Schnabel-Deckel ins Glas. Liefers staunt: „Ist das ein Trick?“ Ja. Aber kein guter.

Liefers läuft mit seinen Gläsern weg. Es ist 20.40 Uhr, in der ARD läuft gerade der Weimarer „Tatort“.

Zwei gezapfte Pils, bitte: Jan Josef Liefers ist endlich dran
Zwei gezapfte Pils, bitte: Jan Josef Liefers ist endlich dranFoto: Ralph Große-Bley
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Wer im „Tatort ICE 706“ die Opfer sind, ist klar: alle Fahrgäste. Die Täter sitzen in der Konzernzentrale. Ich wäre da gern Logistiker. Davon verstehe ich nichts, aber solche Leute sind bei der Bahn offenbar gesucht.

Gefühlt ist das Bordrestaurant ständig dicht. Die Leute sitzen einfach da rum. Kein Umsatz. Als Wirt bin ich mit einer Kneipe ohne Umsatz ruckzuck pleite, aber die Bahn nicht. Weil der Staat dahintersteht.

Grotesk, dass die Regierung jetzt „Klima-Paket“ schreit und uns in die Bahn treiben will. Ich wette, die Bahn will alles, nur nicht mehr Fahrgäste. Sie ist ja jetzt schon überfordert.

Billigere Tickets dank reduzierter Mehrwertsteuer heißt „linke Tasche, rechte Tasche“. Der Staat verzichtet ausnahmsweise auf Steuern und hofft, dass die Bahn so mehr Kunden, mehr Einnahmen hat. Und so weniger Staatskohle in den defizitären Betrieb pumpen muss.

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Das ist der Plan. Für mich ist das Murks. Ein paar Euro, die der Kunde spart. Gut 70 Euro habe ich für das Ticket Berlin–Hamburg–Berlin mit der BahnCard 50 bezahlt. So viel würde auch der Sprit für mein Auto kosten. Ein Diesel. Aber der bleibt stehen. Ich mache ja mit beim Klima-Retten.

56 Minuten zu spät erreicht der ICE 706 Hamburg-Altona. „Endstation“, plärrt es aus dem Lautsprecher. Ein Sorry für die Verspätung? Wieso? Das hier ist die Bahn, unsere letzte Hoffnung fürs Klima.