TV-Kritik: Maischberger : Merz argumentiert sich zur Sozialpolitik ins Abseits
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Mit Gestik: Friedrich Merz (links) und Hubertus Heil zu Gast bei Sandra Maischberger Bild: WDR/Melanie Grande
In einem Streitgespräch zwischen Friedrich Merz und Hubertus Heil wurde noch einmal deutlich, warum die Union in diesem Wahlkampf in solche Turbulenzen geraten ist: Sie kann nicht mehr vermitteln, wie sie das Land regieren will.
Erfolgreiche Wahlkämpfe gehorchen einer einfachen Logik. Sie sollen durch Polarisierung die eigene Position sichtbar und gleichzeitig die Abgrenzung zum politischen Gegner deutlich machen, um die Mobilisierung des jeweiligen Wählerpotentials zu ermöglichen. Erst mit Angela Merkel wurde die Stilllegung des politischen Meinungsstreits zu einem Erfolgsrezept. Die Entschärfung des Großkonflikts um die Atomenergie mit der Übernahme der Position ihrer politischen Gegner war das Meisterstück des machtpolitischen Opportunismus. Das verschaffte ihr die Rolle einer überparteilich anmutenden Bundeskanzlerin, die die Niederungen des politischen Grabenkrieges der Konkurrenz überließ.
Das hing aber von den ökonomischen Umständen ab: Die Bundeskanzlerin war ein wirtschaftspolitisches Glückskind, weil sie spätestens nach dem Zusammenbruch des Finanzkapitalismus im Jahr 2008 ein Land im Aufschwung regieren durfte. Ein hohes Wirtschaftswachstum mit einer wettbewerbsfähigen Industrie, sinkender Arbeitslosigkeit, steigenden Löhnen und Sozialausgaben. Selbst der erzliberale Economist lobte damals Deutschland in den höchsten Tönen. Jetzt schreibt er einen Abgesang auf Deutschland vor dem bevorstehenden Ende der Ära Merkel.
Hilfloser Friedrich Merz
Vor diesem Hintergrund musste man sich die Diskussion zwischen Hubertus Heil (SPD) und Friedrich Merz (CDU) in der Sendung von Sandra Maischberger ansehen. Sie bot unter Wahlkampfgesichtspunkten alles, was der Wähler braucht: Klare Positionierungen beider Spitzenpolitiker, wenn auch mit einem klaren Sieger. Merz wirkte hilflos in den angesprochenen Themen zur Steuer- und Sozialpolitik. So machte er die Debatte über den Umgang mit dem Solidaritätszuschlag zu einer Frage des Anstands gegenüber dem Steuerzahler. Nur hatte seine eigene Partei dem Kompromiss mit den Sozialdemokraten zugestimmt, der dessen Weiterbestehen für die hohen Einkommensgruppen beschloss.
Heil machte zudem deutlich, warum er diesen Kompromiss aus fiskalischen und verteilungspolitischen Gründen für gerechtfertigt hielt. Dessen Abschaffung stellte der Minister auch nicht in Frage, sondern verband sie mit einer Neuordnung des Einkommensteuertarifs mit gleicher Verteilungswirkung. Merz nannte das eine „andere Baustelle“, wofür die SPD eine Mehrheit im Bundestag benötigte. Dem stimmte Heil sofort zu. Vermutlich machen die Sozialdemokraten deswegen Wahlkampf.
Wenn es um Anstand gegangen wäre, hätte die Union diesen Kompromiss ablehnen und einen Koalitionsbruch riskieren müssen. Das hätte unter Umständen Neuwahlen bedeutet, aber mit einem zentralen Thema: ob es der Anstand gebietet, ausgerechnet die Spitzeneinkommen zu entlasten. Die waren allerdings in den vergangenen 30 Jahren die großen Gewinner der Globalisierung, weil sie vom dadurch ausgelösten Steuerwettbewerb profitieren konnten. Der beruhte auf schlichter Erpressung, weil die Nationalstaaten die Kontrolle über die Finanzströme verloren hatten. Hätten sich die Sozialdemokraten auf die bedingungslose Abschaffung des Solidaritätszuschlags eingelassen, hätten sie zu dieser Bundestagswahl gar nicht mehr antreten müssen. Aber wer glaubt in der Union ernsthaft, mit „steuerpolitischen Anstand“ noch eine Wahl gewinnen zu können?