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Wirtschaft OECD-Report

Niemand auf der Welt zahlt mehr Steuern und Abgaben als der deutsche Single

Wirtschafts- und Finanzredakteur
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Verantwortlich für den internationalen Spitzenplatz sind weniger die Steuern, sondern vielmehr die Sozialabgaben
Quelle: Getty Images/Westend61
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In keinem anderen Industrieland wird das Bruttoeinkommen von Ledigen ohne Kinder stärker belastet als in Deutschland. Immerhin: Die aktuelle OECD-Auswertung zeigt auch, dass die Situation für Familien im internationalen Vergleich etwas besser aussieht.

Deutschland hat seinen Titel verteidigt, wenn auch einen fragwürdigen: den des Abgabenspitzenreiters. In keinem anderen Industrieland gehen vom Bruttoeinkommen eines kinderlosen Singles so viele Steuern und Sozialbeiträge ab. Die durchschnittliche Belastung eines Durchschnittsverdieners lag im vergangenen Jahr bei 38,9 Prozent.

Damit verdrängte Deutschland erneut Belgien (38,4 Prozent) und Litauen (35,8 Prozent) auf die weiteren Plätze. Das zeigt die aktuelle, jährlich vorgenommene Auswertung der Industrieländerorganisation OECD.

Die positive Nachricht für alle Ledigen ist: Die durchschnittliche Belastung ist im Corona-Krisen-Jahr gesunken – von 39,3 Prozent auf 38,9 Prozent. Die Durchschnittsbelastung aller 37 untersuchten Nationen sank jedoch deutlicher, nämlich von 25,9 Prozent auf 24,9 Prozent. Die Zahlen bedeuten, dass einem Single mit einem Durchschnittseinkommen hierzulande 61,1 Prozent seines Bruttolohns bleiben, im OECD-Durchschnitt sind es hingegen 75,1 Prozent.

Quelle: Infografik WELT

Der internationale Vergleich liefert den Parteien für den Bundestagswahlkampf einigen Diskussionsstoff. Die einen werden darin weitere Argumente für pauschale Steuersenkungen sehen, die anderen werden eher auf den Teil der OECD-Untersuchung verweisen, der sich mit der Belastung von Haushalten mit Kindern beschäftigt, und für eine neue Familienpolitik werben.

Die Experten der OECD haben sich auch die Höhe der Steuern und Sozialbeiträge angeschaut, mit denen Familieneinkommen belastet werden. Da sieht das Bild anders aus: Ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern kam in Deutschland 2020 unter Einbeziehungen von Steuervergünstigungen und Transferzahlungen auf eine Gesamtbelastung von 21,3 Prozent.

Deutsches Steuerrecht fördert die klassische Arbeitsteilung

In dieser Gruppe rangiert Deutschland nur knapp oberhalb des OECD-Durchschnitts, der sich auf 19,9 Prozent beläuft. In anderen Ländern geht deutlich mehr Geld vom Familieneinkommen ab. So liegt die Belastung aus Steuern und Sozialbeiträgen in Litauen, Dänemark und Finnland für Einverdiener-Ehen mit zwei Kindern bei mehr als 30 Prozent.

Einige Wahlkämpfer dürften vor allem die Unterschiede betonen zwischen jenen Familien, in denen nur einer der Partner Geld verdient, und jenen, in denen beide ihrem Beruf nachgehen.

In einer Familie mit zwei Kindern, in der ein Partner Vollzeit arbeitet, der andere eine Zweidrittelstelle hat, gehört Deutschland mit einer Abgabenbelastung von 31 Prozent wie bei den Singles zur Spitzengruppe – nur in Litauen, Belgien und Dänemark werden Doppelverdiener-Familien noch stärker belastet. Der OECD-Durchschnitt liegt bei vergleichsweise geringen 21,7 Prozent.

Die Zahlen lenken den Blick auf das Ehegatten-Splitting, das gleich von mehreren Parteien für die Zeit nach der Bundestagswahl im September zur Disposition gestellt wird. Bei der SPD beispielsweise heißt es, Nutznießer seien „vor allem Alleinverdiener-Ehepaare mit hohen Einkommen“, wodurch das geltende Steuerrecht die klassische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen befördere.

Für neu geschlossene Ehen will die SPD das Ehegatten-Splitting deshalb genauso ändern wie die Grünen. Stattdessen wollen beide Parteien Haushalte mit Kindern durch eine Kindergrundsicherung besserstellen. Die FDP hält dagegen am Splittingverfahren fest, dafür soll es mit ihr höhere Freibeträge für Familien geben und so die Steuerbelastung sinken.

Laut den OECD-Zahlen ist in Deutschland für die Spitzenbelastung der Haushalte im internationalen Vergleich weniger die Einkommensteuer verantwortlich. Betrachtet man nur die durchschnittliche Steuerbelastung des Single-Einkommens, rangiert Deutschland mit 18,8 Prozent nur auf Rang zehn. Verantwortlich für den ersten Gesamtplatz sind vor allem die Sozialbeiträge, die 20,1 Prozent betragen. Der OECD-Durchschnitt liegt hier gerade einmal bei 9,7 Prozent.

Quelle: Infografik WELT

Das heißt, wenn es um Entlastung geht, müsste die Politik eher bei den Sozialbeiträgen als bei den Steuern ansetzen. Wobei das eine das andere bedingen kann: Fehlt den Sozialkassen Geld, werden sie schon heute durch Steuermilliarden aufgefüllt.

In anderen Ländern sind die Belastungen niedriger, dafür ist die soziale Absicherung aber längst nicht so gut – ein Beispiel sind die Vereinigten Staaten, wo vom Bruttoeinkommen eines Durchschnittssingles gerade einmal 7,7 Prozent für Sozialbeiträge abgehen und auch die von der OECD ausgewiesene Steuerbelastung für einen Single mit 16,8 Prozent unter der in Deutschland liegt. Mit den von US-Präsident Joe Biden angekündigten Sozialreformen und Steuererhöhungen könnte sich das freilich ändern.

Kritiker der jährlichen OECD-Erhebung sehen die Unterscheidung zwischen Steuern und Sozialabgaben als problematisch an. In einigen Ländern seien Sozialbeiträge Steuern, in anderen Versicherungsbeiträge.

Die OECD berechne nicht die durchschnittliche Steuer- und Abgabenlast der Bevölkerung, sondern nur die Belastung mit Lohnsteuer und Sozialbeiträgen bei ausgewählten Modellhaushalten, moniert Stefan Bach, Experte für Steuer- und Verteilungsfragen beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Es würden zudem nur Standardabzüge wie Arbeitnehmerpauschbetrag, Grundfreibetrag und Kinderfreibetrag berücksichtigt, andere mögliche Abzüge wie Entfernungspauschale und doppelte Haushaltsführung gingen nicht in die Berechnungen ein. Dabei sei Deutschland hier großzügiger als andere Länder.

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Auch der alleinige Blick auf die Einkommensteuer greift aus Bachs Sicht zu kurz. Auch indirekte Steuern, wie die Mehrwertsteuer, fehlten in der OECD-Rechnung. Hier liege Deutschland nicht an der Spitze. Und gehe es um die Besteuerung von Kapitaleinkommen und Vermögen, sei Deutschland sogar ein Niedrigsteuerland.

Zusätzlich zur Belastung unterschiedlicher Haushaltstypen haben sich die OECD-Experten auch die Gesamtbelastung des Faktors Arbeit in den Mitgliedsländern angeschaut – wenn man nämlich zusätzlich berücksichtigt, was die Arbeitgeber in die Sozialversicherungen einzahlen. Die Gesamtbelastung eines Single-Einkommens liegt dann in Deutschland bei 49 Prozent.

Noch höher ist die Gesamtbelastung der Arbeit nur in Belgien, wo mit 51,5 Prozent sogar mehr als die Hälfte der Arbeitskosten an den Staat gehen. Der OECD-Durchschnitt beträgt 34,6 Prozent.

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